Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 434
Bei der Frage, inwieweit eine fehlende Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers im Bezugszeitraum oder die fehlende Anwesenheit im Betrieb sich auf einen Anspruch auf eine Sonderzahlung oder Gratifikation auswirken, ist wiederum zwischen Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter und Gratifikationen mit Mischcharakter und Sonderzahlungen, die ausschließlich an die Betriebstreue eines Arbeitnehmers anknüpfen, zu unterscheiden.
(a) Arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung
Rz. 435
Liegt eine arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung vor, folgt bereits aus dem Synallagma zwischen Arbeitsleistung und Arbeitsvergütung (§§ 275, 326, 611a BGB), dass Fehlzeiten, für die ein Lohn- oder Gehaltszahlungsanspruch nicht besteht, die Sonderzahlung entsprechend mindern, und der Arbeitgeber berechtigt ist, die Gratifikation für den Zeitraum von Fehltagen ohne Entgeltfortzahlung im Verhältnis zur möglichen Gesamtarbeitszeit zu kürzen. Einer besonderen Kürzungsvereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG v. 21.3.2001 – 10 AZR 28/00; BAG v. 5.8.1992 – 10 AZR 88/90; LAG Rheinland-Pfalz v. 22.2.2017 – 4 Sa 460/15). Wird gleichwohl eine solche vereinbart, hat sie lediglich klarstellende Funktion.
Rz. 436
Fehlt eine Kürzungsabrede, kann die Sonderzahlung nur proportional i.H.v. 1/220 pro Fehltag gekürzt werden. Ist eine Kürzungsabrede vorhanden, so bestimmt sie im Regelfall die Höhe der Kürzung. Nach der Rspr. sind auch überproportionale Kürzungen zulässig, allerdings sind sie der gerichtlichen Billigkeitskontrolle zu unterziehen (BAG v. 15.2.1990 – 6 AZR 381/88, Kürzungsrate von 1/60 pro Fehltag; BAG v. 26.10.1994 – 10 AZR 482/93, Kürzungsrate von 1/30 pro Fehltag), zudem gilt die Grenze des § 4a EntgFG, wonach die Kürzung auf 1/4 des Tagesverdienstes begrenzt ist.
(b) Sonderzahlung mit Mischcharakter bzw. ausschließlich für Betriebstreue
Rz. 437
Für Sonderzuwendungen mit Mischcharakter bedarf es hingegen einer ausdrücklichen einzel- oder kollektivvertraglichen Regelung, wenn die Sonderzahlung auch für Zeiten gekürzt werden soll, in denen keine oder nur eine unerhebliche Arbeitsleistung erbracht worden ist. Damit kann auch ein Arbeitnehmer, der während des gesamten Bezugszeitraumes arbeitsunfähig ist, eine Sonderzahlung beanspruchen, sofern der Anspruch in der Rechtsgrundlage nicht ausgeschlossen oder keine besondere Kürzungsvereinbarung vorhanden ist. Es gibt kein allgemeines Rechtsprinzip, welches eine Quotelung einer Gratifikation nach dem Maß der jährlichen Arbeitsleistung rechtfertigt, wenn diese Arbeitsleistung im Bezugszeitraum nicht oder nicht in vollem Umfange erbracht worden ist. Sollen krankheitsbedingte Fehlzeiten die Sonderleistung mindern oder gar ausschließen, bedarf es daher einer ausdrücklichen Regelung. Allein mit dem Zweck der Sonderzahlung kann kein Kürzungstatbestand begründet werden (BAG v. 5.8.1992 – 10 AZR 88/90). An dieser Rspr. hat das BAG seither in st. Rspr. für verschiedene Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und auch für einzelvertragliche Vereinbarungen festgehalten (BAG v. 17.12.1992 – 10 AZR 427/91; BAG v. 24.3.1993 – 10 AZR 427/91; BAG v. 24.3.1993 – 10 AZR 487/92; BAG v. 8.12.1993 – 10 AZR 66/93; BAG v. 16.3.1994 – 10 AZR 669/92; BAG v. 28.9.1994 – 10 AZR 805/93; BAG v. 9.8.1995 – 10 AZR 539/94; BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 985/94; BAG v. 10.4.1996 – 10 AZR 600/95).
Rz. 438
Allerdings kann in einer Gratifikationsregelung zur Berechnung der Sonderzahlung auf den tatsächlichen Verdienst im Bezugszeitraum abgestellt und hierdurch auch der Fall abschließend geregelt werden, wie sich Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung auf die Sonderzahlung auswirken. Liegt eine Regelung vor, wonach sich eine Sonderzahlung nach den tatsächlich erzielten durchschnittlichen Monatseinkommen des Arbeitnehmers im laufenden Kalenderjahr oder im Bezugszeitraum oder aus einem tatsächlichen Arbeitsverdienst errechnet, folgt daraus, dass Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung den monatlichen Durchschnittsverdienst mindern und Arbeitnehmer, die während des gesamten zugrunde zu legenden Berechnungszeitraumes arbeitsunfähig krank waren und für diese Zeiten keine Lohnfortzahlung erhalten haben, keine tarifliche Sonderzuwendung bekommen (BAG v. 18.11.1998 – 10 AZR 387/98; BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 985/94; BAG v. 9.8.1995 – 10 AZR 539/94; BAG v. 24.3.1993 – 10 AZR 487/92; BAG v. 5.8.1992 – 10 AZR 171/91; LAG Düsseldorf v. 22.5.1996 – 2 (17) Sa 61/96).
Rz. 439
Eine in einer Gratifikationsregelung enthaltene Kürzungsabrede kann Fehlzeiten ohne und mit Entgeltfortzahlung betreffen. Es ist auch eine Regelung zulässig, nach der krankheitsbedingte Fehlzeiten mit einem Anspruch auf Lohnfortzahlung zur Kürzung einer freiwilligen Sonderzahlung führen. Es steht den Betriebspartnern frei, im Einzelnen zu bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Eine derartige anspruchsmindernde Sonderzahlungsvereinbarung verstößt auch nicht gegen lohn- oder entgeltfortzahlungsrechtliche Bestimmungen (BAG v. 6.12.1995 – 10 AZR 123/9...