Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 774
Anzuwenden ist grds. ein genereller Prüfungsmaßstab, d.h. ein von den Besonderheiten des Einzelfalles losgelöster, typisierender Prüfungsmaßstab (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 46; BAG v. 4.3.2004, NZA 2004, 727, 732; BGH v. 3.4.1998, NJW 1998, 2600; BGH v. 4.7.1997, NJW 1997, 3022). Ob eine Klausel einen angemessenen Inhalt aufweist, bestimmt sich deshalb nicht allein anhand der Situation des konkreten Arbeitnehmers, dem ggü. die Klausel verwendet wird, sondern aus der Perspektive eines beliebigen Arbeitnehmers seiner Gruppe, also bspw. eines leitenden Angestellten oder Teilzeitbeschäftigten. Dies hat zur Folge, dass eine Klausel, die bei dieser generalisierten Betrachtungsweise einen unangemessenen Inhalt aufweist, auch dann unwirksam ist, wenn sich der benachteiligende Inhalt im konkreten Einzelfall nicht auswirkt. Deshalb ist bei der Beurteilung der Unangemessenheit grds. ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen (BAG v. 7.12.2005 – 5 AZR 535/04; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04). Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05). Das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel ist mit dem Interesse des Vertragspartners am Wegfall der Klausel und deren Ersetzung durch die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen abzuwägen. Dabei ist allerdings der gesamte Vertragsinhalt zu berücksichtigen (BAG v. 7.12.2005 – 5 AZR 535/04; BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04).
Rz. 775
Da der Arbeitsvertrag als ein Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB eingestuft wird, ist das Prüfungsprogramm verändert. Es sind dann gem. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei der Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zusätzlich die diesem Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Hierunter fallen die tatsächlichen, sich in der individuellen Vertragsabschlusssituation aktualisierenden Gegebenheiten. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB erweitert damit das Spektrum der bei der Anwendung des § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkte. Bei Verbraucherverträgen tritt dabei zu den typisierenden Abwägungsgesichtspunkten eine "konkret-individuelle Abwägungsebene" hinzu. Diejenigen Begleitumstände, denen dabei insb. Rechnung zu tragen ist, gewinnt das BAG unter Berücksichtigung der EG-Verbrauchervertragsrichtlinie (BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, BB 2006, 443, 448). Dabei nennt die Rspr. persönliche Eigenschaften des individuellen Vertragspartners, die sich auf die Verhandlungsstärken auswirken oder Besonderheiten der konkreten Vertragsabschlusssituation, wie z.B. Überrumpelung, Belehrung sowie untypische Sonderinteressen des Vertragspartners (Stoffels, AGB-Recht, 2003, Rn 478). Die Berücksichtigung dieser Umstände könne sowohl zur Unwirksamkeit einer nach generell-abstrakter Betrachtung wirksamen Klausel als auch zur Wirksamkeit einer nach typisierter Inhaltskontrolle unwirksamen Klausel führen. Im konkret zu entscheidenden Fall hatte sich das BAG mit der formularvertraglich vereinbarten Pauschalabgeltung von Zuschlägen für Nachtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit zu befassen. Obgleich die Vertragsklausel nicht hinreichend transparent und bestimmt war und damit nicht mit § 307 Abs. 1 S. 2 BGB im Einklang stand, verneinte das Gericht die Unwirksamkeit der Pauschalierungsabrede. Ausschlaggebend war dafür der Umstand, dass im Arbeitsvertrag bereits zwei befristete Arbeitsverträge vorangegangen waren, deren Regelungsgehalt der infrage stehenden Klausel hinreichende Klarheit und Bestimmtheit verlieh. Dies war nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zu berücksichtigen. Dagegen ließ das BAG zur Rechtfertigung einer befristeten Arbeitseiterhöhung allein die Ungewissheit über den künftigen Arbeitskräftebedarf nicht ausreichen, da diese Ungewissheit ein Teil des unternehmerischen Risikos ist (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 47). Die entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag ist damit unwirksam.