Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 843
Bei den Bezugnahmeklauseln auf Tarifverträge wird wie folgt begrifflich unterschieden: Sofern im Arbeitsvertrag auf einen bestimmten, näher definierten gültigen Tarifvertrag verwiesen wird, und wenn gleichzeitig ein bestimmter Stichtag genannt wird, ist von einer statischen Verweisung auszugehen. Dies hat zur rechtlichen Folge, dass spätere tarifliche Änderungen ohne Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis bleiben.
Rz. 844
Bei einer großen dynamischen Bezugnahmeklausel soll es möglich sein, den jeweils für den Betrieb einschlägigen Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung in Bezug zu nehmen. Bei einer solchen dynamischen Bezugnahmeklausel geht es immer wieder um die Frage, ob anhand der AGB-Kontrolle eine solche Klausel ihre Dynamik verliert oder ihre Dynamik für immer erhalten bleibt. Dies würde bedeuten, dass zukünftige Änderungen des in Bezug genommenen Tarifvertrages für das Arbeitsverhältnis immer wieder Geltung beanspruchen sollen. Diese Klauseln können problematisch werden, wenn sich ein Verbandswechsel oder ein Verbandsaustritt des Arbeitgebers später realisiert oder es zu einem Betriebsübergang kommt und bei dem Betriebserwerber kein Tarifvertrag oder ein anderer Tarifvertrag gelten soll. Das BAG hat den Abschied von der Auslegung solcher dynamischen Bezugnahmeklauseln tarifgebundener Arbeitgeber i.S.v. bloßen Gleichstellungsabreden mittlerweile deutlich vollzogen (BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607, 609). Für sog. Altverträge macht das BAG eine Ausnahme: Die Auslegung einer vor dem 1.1.2002 arbeitsvertraglich vereinbarten Bezugnahmeklausel als sog. Gleichstellungsabrede verlangt nicht von dem tarifgebundenen Arbeitgeber, dass die Bezugnahme das ganze Tarifwerk umfasst. Die Bezugnahmeklausel kann sich auch auf einen einzelnen Tarifvertrag oder Teile hiervon beschränken (BAG v. 11.12. 2013 – 4 AZR 473/12). Für sog. Neuverträge ist anhand des Wortlauts zu ermitteln, ob es sich um eine statische, dynamische oder große dynamische Bezugnahme handelt. Die Auslegung einer Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede kommt nicht mehr zum Tragen, wenn sie nach dem 31.12.2001 geändert worden ist (BAG v. 3.7.2019 – 4 AZR 312/18).
Rz. 845
Grds. gilt es auch in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass Tarifverträge selbst nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB keiner Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB unterworfen sind. Gleiches gilt, wie sich aus dem Verweis des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB auf § 307 Abs. 3 BGB ergibt, für einzelvertragliche Bezugnahmeklauseln, sofern diese nicht eine von dem Tarifvertrag abweichende oder ihn ergänzende Regelung schaffen. Nur eine Abweichung oder Ergänzung der tariflichen Regelung ermöglicht damit eine Inhaltskontrolle, § 307 Abs. 3 S. 1 BGB (Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 157). Enthält ein Formulararbeitsvertrag, der pauschal auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt, eine ausdrückliche Regelung, die von einer tariflichen Bestimmung abweicht, hat die abweichende Regelung grundsätzlich Vorrang (BAG v. 20.1. 2015 – 9 AZR 585/13).
Rz. 846
Bei einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen abgelaufenen oder fachlich oder räumlich nicht einschlägigen Tarifvertrag soll es zu einer Billigkeitskontrolle der vertraglichen Regelung kommen (Gotthard, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn 240; Annuß, BB 2002, 458, 460; Däubler, NZA 2001, 1329, 1335; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 185).
Eine Bezugnahmeklausel, mit der mehrere eigenständige tarifliche Regelungswerke gleichzeitig auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gebracht werden sollen, bedarf zur Gewährleistung ihrer hinreichenden Bestimmtheit einer Kollisionsregel, der sich entnehmen lässt, welches der mehreren in Bezug genommenen tariflichen Regelwerke bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang haben soll. Arbeitsvertragsparteien sind grundsätzlich frei, ein bestimmtes tarifliches Regelwerk in Bezug zu nehmen, ohne dass es auf dessen normative Wirksamkeit ankommt. Eine derartige Abrede scheidet jedoch aus, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, nur ein wirksamer TV habe vereinbart werden sollen (BAG v. 13.3. 2013 – 5 AZR 954/11).
Rz. 847
Bei einer Globalverweisung auf einen einschlägigen Tarifvertrag scheidet dagegen für das Bezugnahmeobjekt eine AGB-rechtliche Inhaltskontrolle aus (Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 161; Preis, Der Arbeitsvertrag, II V 40 Rn 71; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn 16; Richardi, NZA 2002, 1057, 1061 f.; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 189). In einem solchen Fall ist nämlich von einer fehlenden Abweichung vom Tarifvertrag oder diesen ergänzenden Regelung i.S.v. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB auszugehen, zumal der Tarifvertrag in seiner Gesamtheit übernommen worden ist. Der Wortlaut des § 307 Abs. 3 BGB und des § 310 Abs. 4 S. 3 BGB sprechen dafür, dass sich der Gesetzgeber dieser Auffassung angeschlossen hat. Eine Inhaltskontrolle findet demgegenüber bei Einzelverweisungen oder aber bei Teilverweisungen auf einen Tarifvertrag statt. Im Arbeitsvertrag vereinbarte Bezugn...