Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 742
Nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB kommen die AGB-rechtlichen Vorschriften zur Inhaltskontrolle nur für solche Bestimmungen in AGB infrage, durch die von Rechtsvorschriften abgewichen wird oder durch die ergänzende Regelungen vereinbart werden. Zu diesen "Rechtsvorschriften" sollen auch ungeschriebene, allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze zählen (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 488/04, BB 2006, 609, 611). Ausgenommen von einer Kontrolle anhand der §§ 307 Abs. 1 und Abs. 2, 308, 309 BGB sind deshalb rein deklaratorische und auch sog. preisbestimmende und leistungsbeschreibende Klauseln (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 488/04, BB 2006, 609; BGH v. 13.7.2005, NJW-RR 2005, 1479; Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 272; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 71). Hinsichtlich sog. deklaratorischer Klauseln geht man davon aus, dass bei einer darauf bezogenen Kontrolle es dem Richter mittelbar möglich wäre, Gesetzesrecht einer Angemessenheitskontrolle zu unterziehen (BGH v. 9.5.2001 – IV ZR 121/00, NJW 2001, 2014, 2015; Stoffels, JZ 2001, 843).
Dabei kann es dazu kommen, dass von Vorschriften des Gesetzes abgewichen wird, die in ihrer primären Funktion Arbeitnehmerschutz gewährleisten sollen. Wird die gesetzliche Kündigungsfrist für den AN erheblich verlängert, kann die Klausel wegen unangemessener Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sein, auch wenn die Kündigungsfrist für den AG in gleicher Weise verlängert wird (BAG v. 26.10. 2017 – 6 AZR 158/16).
Rz. 743
Die Klauseln, die leistungsbestimmende Inhalte haben, sollen kontrollfrei bleiben, weil dieses Äquivalenzverhältnis den Kernbereich der Privatautonomie und der vertraglichen Gestaltung ausmacht und dieser der Marktregulierung und der eigenverantwortlichen Selbstbestimmung der Vertragspartner überlassen werden soll. Außerdem existieren für dieses Äquivalenzverhältnis keinerlei Kontrollmaßstäbe. Überprüft werden soll der Vertrag nicht darauf, ob er für beide Parteien einen angemessenen Austausch bedeutet, sondern nur darauf, ob seine Regelungen in einseitig benachteiligter Weise von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen, die den Rahmen für den Leistungsaustausch abgeben. Klauseln in AGB, die den Umfang der Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung regeln, unterliegen nicht der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB (BAG v. 17.10. 2012 – 5 AZR 792/11). Dort, wo ausnahmsweise die Hauptleistungspflichten durch Rechtsvorschriften bestimmt werden, bleibt eine Kontrolle jedoch möglich (BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 328; Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 267; BAG v. 14.1.2007 – 5 AZR 630/06). In diesem Zusammenhang sei beispielhaft aufgeführt, dass die befristete Änderung der synallagmatischen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis der AGB-Inhaltskontrolle zugänglich sein soll (BAG v. 27.7.2005, BB 2006, 609, 611; BAG v. 10.1.2007 – 5 AZR 84/06). Gleiches ist für eine Vereinbarung eines Widerrufsvorbehaltes oder eines Rücktrittsvorbehaltes anzunehmen (für den Widerrufsvorbehalt: BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, BB 2005, 833, 834; für den Rücktrittsvorbehalt: BAG v. 11.10.2006, NZA 2007, 87).
Rz. 744
Nach § 310 Abs. 4 S. 3 BGB stehen Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen Rechtsvorschriften i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB gleich. Daraus geht hervor, dass Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen selbst keiner AGB-Kontrolle unterliegen. Dies folgt unmittelbar aus § 310 Abs. 4 S. 1 BGB. Deshalb sind Klauseln in Arbeitsverträgen, welche Bestimmungen aus diesen kollektiv-rechtlichen Regelungsinstrumenten wiederholen, keiner Inhaltskontrolle zu unterziehen. Dies ist auch anzunehmen für einzelvertragliche, zugleich aber vollständige Verweisungen auf diese Regelungen. Nur auf diese Weise kann eine mittelbare Kontrolle durch den staatlichen Richter von Tarifverträgen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen verhindert werden. Eine arbeitsgerichtliche Angemessenheitskontrolle tariflicher Lohn- und Arbeitsbedingungen findet grds. nicht statt.
Rz. 745
Eine Kontrolle ist dann möglich, wenn die einzelarbeitsvertragliche Regelung eine von den kollektiven Bestimmungen abweichende oder sie ergänzende Regelung schafft. In der Praxis ist es oftmals schwierig, zu bestimmen, wann im Einzelfall eine Abweichung oder Ergänzung von kollektiv-rechtlichen Regelungen vorliegt. Für den häufigsten Fall, nämlich der Verweisung auf einen Tarifvertrag, kann dies dann angenommen werden, wenn es sich um einen branchen- oder ortsfremden Tarifvertrag handelt oder nur auf einen Teil und nicht den Tarifvertrag als Ganzes in Bezug genommen wird. Man muss also zwischen einer sog. Teil- oder Gesamtverweisung unterscheiden. Die Teilverweisung eröffnet die AGB-Kontrolle, während die Gesamtverweisung eine AGB-Kontrolle, noch dazu der tarifvertraglichen Regelungen, ausschließt. Eine Inhaltskontrolle ist darüber hinaus auch dann nicht durch § 310 Abs. 4 S. 3 BGB ausgeschlossen, wenn eine Kollektivvereinbarung lediglich auf die Möglichkeit einer ...