Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 777
Die Rspr. stellt eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB auf der Grundlage einer Interessenabwägung fest (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, NZA 2006, 40, 46; BAG v. 4.3.2004, NZA 2004, 727, 732; Thüsing, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Rn 98). Dabei ist zunächst ein rechtlich anerkanntes Interesse des Arbeitnehmers festzustellen. Dies muss durch die im Arbeitsvertrag verwandte Klausel beeinträchtigt werden. Schließlich darf die Beeinträchtigung nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen werden. Als Gesichtspunkte, die die Interessenabwägung beeinflussen, kommen unterschiedliche Faktoren in Betracht (Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 1993, 312 ff.; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 560 ff.; Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 304 ff.).
Rz. 778
Bei dieser Interessenabwägung sind vor allem die Art des Arbeitsvertrages und die damit verbundene Stellung des Arbeitnehmers von Bedeutung. Führungskräfte sollen danach etwa bei Nebentätigkeits- oder Wettbewerbsverboten größere Beschränkungen hinzunehmen haben als "normale" Arbeitnehmer. Bei einem auf kurze Zeit befristeten Arbeitsvertrag können dem Arbeitnehmer Interessenbeeinträchtigungen trotz Diskriminierungsverbot vielleicht doch noch eher zumutbar sein als bei einem unbefristeten, auf unbestimmte Zeit angelegten Arbeitsverhältnis. Auch was den Arbeitgeber angeht, so können sich bei diesem Abwägungsansatz. Unterschiede ergeben: Ein Kleinunternehmer wird oftmals schutzbedürftiger sein als ein großer Konzern und in verschiedenen Branchen werden Interessenbewertungen unterschiedlich angesetzt. Darüber hinaus sind bei Rechtsstreitigkeiten gem. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Dies gilt auch für Arbeitsverträge, denn der Arbeitnehmer ist Verbraucher i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB. Zu den konkret-individuellen Begleitumständen gehören bei richtlinienkonformer Auslegung des Gesetzes insb. die persönlichen Eigenschaften des individuellen Vertragspartners, die sich auf die Verhandlungsstärke auswirken, Besonderheiten der konkreten Vertragsabschlusssituation, wie z.B. Überrumpelung, Belehrung sowie untypische Sonderinteressen des Vertragspartners (BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04).
Rz. 779
Schließlich ist bei dieser Interessenabwägung auch die Stellung der Klausel im Gesamtvertrag zu berücksichtigen. Dabei ist eine Gesamtwürdigung aller Vertragsbedingungen anzustellen. Es sollen nämlich sowohl summierende als auch ausgleichende Effekte beachtet werden (BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, NZA 2006, 324, 326 ["ausgewogene Vertragsgestaltung"]; BGH v. 2.12.1992, NJW 1993, 532). Dabei sind zwei Richtungen zu beachten. Eine für sich alleine genommene zulässige Klausel kann durch das Zusammenspiel mit einer anderen Vertragsbestimmung unwirksam werden, ebenso wie umgekehrt eine Klausel erst durch eine anderweitige vorteilhafte Bestimmung im Vertragswerk wirksam werden kann. Beispielhaft sollen dies sog. Mankoabreden verdeutlichen, die dann wirksam sind, wenn es zur Gewährung eines kompensatorischen finanziellen Ausgleiches kommt (Hess. LAG v. 18.12.1997 – 14 Sa 83/97; BAG v. 2.12.1999, NZA 2000, 715). Des Weiteren wird diese Vorgehensweise der Rspr. in Form einer Interessenabwägung bei der Überprüfung einer Vertragsstrafenklausel deutlich. Die Rspr. verneint eine generelle unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers mit der Erwägung, dass er verpflichtet ist, seine Hauptpflichten und damit die Arbeitsleistungspflicht zu erbringen. Der Arbeitgeber hat danach ein berechtigtes Interesse an der Einhaltung der arbeitsvertraglichen Hauptpflicht, während der Arbeitnehmer i.d.R. weder ein Recht noch ein schützenswertes Interesse daran hat, den Arbeitsvertrag zu brechen (BAG v. 4.3.2004 8 AZR 196/03, NZA 2004, 727, 733).
Rz. 780
Schließlich sind i.R.d. Auslegung der §§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB Grundrechte und deren Wirkungen im Arbeitsrecht zu beachten. Es geht bei der Interessenabwägung auch darum, der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Rechnung zu tragen. Wettbewerbsverbote als Beispiel sind an Art. 12 GG, der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, zu messen.