Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 747
Ausgenommen vom Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB sind Tarifverträge, Betriebs- sowie Dienstvereinbarungen. Dies ist ausdrücklich in § 310 Abs. 4 S. 1 BGB so bestimmt. Tarifverträge unterliegen damit einer reinen Rechtskontrolle anhand des zwingenden Gesetzesrechtes, Richterrechtes oder den Grundrechten, denn man geht von einem gesicherten Verhandlungsgleichgewicht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände aus, die zu einer Angemessenheit des Verhandlungsergebnisses führen sollen, was gleichfalls vermutet wird. Daraus wird überwiegend gefolgert, dass Art. 9 Abs. 3 GG eine Tarifzensur verbiete (BAG v. 21.11.2006 – 9 AZR 138/06, BB 2007, 1001).
Rz. 748
Betriebsvereinbarungen hingegen unterliegen weiterhin auf der Grundlage der Rspr. einer allgemeinen Billigkeitskontrolle. Konkret hat die Rspr. angenommen, dass § 308 Nr. 4 BGB bei Widerrufsvorbehalten auf die in Betriebsvereinbarungen geregelten Widerrufsvorbehalte nicht anwendbar ist. Die in den Betriebsvereinbarungen geregelten Widerrufsvorbehalte unterliegen aber einer gerichtlichen Ausübungskontrolle (BAG v. 1.3.2006 – 5 AZR 187/05).
Rz. 749
Abzugrenzen ist dies von einer durch § 310 Abs. 4 BGB ausgeschlossenen Inhaltskontrolle (BAG v. 19.4.2005 – 3 AZR 468/04, DB 2005, 1527; BAG v. 26.10.1994, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie; Däubler, NZA 2001, 1329, 1334). Dies schließt aber zugleich eine allgemeine Angemessenheitskontrolle von Betriebs- oder Dienstvereinbarungen vor dem Hintergrund des § 310 Abs. 4 BGB aus. Ob die Rspr. gehalten ist, bei der Kontrolle von Betriebsvereinbarungen Zurückhaltung zu üben, ist derzeit noch nicht gefestigt (Lakies, AGB im Arbeitsrecht, Rn 140: "marginale Abweichung").
Rz. 750
Die Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien bei Arbeitsverträgen ist dagegen im Bereich allgemeiner Geschäftsbedingungen nach der Rspr. des BAG auf der Grundlage des § 307 BGB vorzunehmen (BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 160/05, NZA 2006, 872). Andererseits hält die Rspr. daran fest, dass eine Inhaltskontrolle nach den allgemeinen, für arbeitsvertragliche Einheitsregelungen geltenden Maßstäben, nicht vorzunehmen sei. Zwar seien die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien nicht gänzlich dem Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB entzogen, jedoch sei zu berücksichtigen, dass ihnen eine ähnliche Richtigkeitsgewähr wie Tarifverträgen zukomme. Eine Stichtagsregelung in kirchlichen Arbeitsbedingungen, die AN, deren Arbeitsverhältnis vor dem 1. Dezember endet, von einer Jahressonderleistung ausnimmt, hält dieser Rspr. stand (LAG Rheinland-Pfalz v. 4.12.2014 – 3 Sa 440/14). Die Rspr. des BAG wird kritisiert (Thüsing, NZA 2002, 306, 310; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 15 Rn 42 f.; Lakies, AGB im Arbeitsrecht, 2006, Rn 141 ff.).