Rz. 242
Allein das (Gesamt-)Ergebnis der Rechtsanwendung ist Gegenstand der Kontrolle. Da der ausländische Gesetzgeber nicht deutschem Verfassungsrecht unterliegt, ist eine abstrakte Kontrolle der Regeln des ausländischen Erbrechts anhand der deutschen Grundrechte nicht möglich. Auch mit den Grundregeln des deutschen Rechts unvereinbare Regeln sind daher anzuwenden, soweit sie zu einem Ergebnis führen, das aus deutscher Sicht hinnehmbar ist. "Ergebnis der Rechtsanwendung" bedeutet insbesondere, dass sämtliche Möglichkeiten des ausländischen Sachrechts wie auch des deutschen IPR auszuschöpfen sind:
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Die einseitige Verstoßung der deutschen Ehefrau durch ihren muslimischen Ehemann (talaq) ist anzuerkennen, wenn die Ehefrau ohnehin mit der Scheidung einverstanden war oder auch nach deutschem Recht gerichtlich hätte geschieden werden können. Die Scheidung ist in solchen Fällen akzeptabel. |
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Fehlende Pflichtteile von Abkömmlingen oder des Ehegatten werden im ausländischen Recht vielfach bei Bedürftigkeit durch Unterhaltsansprüche kompensiert. Durch eine funktionelle Qualifikation dieser Ansprüche kann man diese zum Erbstatut ziehen (siehe Rdn 218) bzw. bei unterschiedlichem Erb- und Unterhaltsstatut im Wege der Angleichung (siehe Rdn 283) Versorgungslücken vermeiden. Eine andere Auffassung hat hier freilich der BGH in seiner Entscheidung von 29.6.2022 vertreten: Er verabsolutiert die Pflichtteilsregelung des BGB zur einer verfassungsrechtlich universal garantierten bedarfsunabhängigen Mindestteilhabe, die unabhängig vom nach der EuErbVO geltenden Erbstatut immer dann zu gewährleisten sei, wenn der Fall eine hinreichende Inlandsbeziehung aufweise. Damit versperrt er den Weg einer Kompensation durch eine "verfassungskonforme Auslegung" der Regelungen des englischen Rechts über die family provision. |
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In der Literatur wird häufiger darauf hingewiesen, das entsprechende ausländische Recht kenne ja Pflichtteile für andere Angehörige, so dass dieses Recht nicht gegen den ordre public verstoße. Das freilich verfängt nicht. Bei Geltung englischen Erbrechts hilft den enterbten Kindern nicht der Hinweis darauf, die Witwe habe ja einen Pflichtteil. Auch kann man die zugunsten der Kinder enterbte konkret pflichtteilslose Ehefrau bei Geltung französischen Erbstatuts nicht damit trösten, sie habe einen Pflichtteil, wenn die Kinder bei Eintritt des Erbfalls bereits vorverstorben wären. Für die Frage, ob der ordre public verletzt ist, kommt es eben nicht darauf an, ob das ausländische Recht den Rechtsvorstellungen in Deutschland entspricht, sondern ob das Ergebnis der Rechtsanwendung hiergegen verstößt. |
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Eine sehr niedrige oder fehlende Ehegattenerbquote wird erträglich, wenn § 1371 Abs. 1 BGB eingreift oder der Ertrag aus einer güterrechtlichen Auseinandersetzung in die Betrachtung einbezogen wird. |
Rz. 243
Im Beispiel 1 sind die "ungläubigen" Kinder und die Ehefrau aufgrund ihrer Konfession vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen, im Beispiel 2 ist der Adoptivsohn aufgrund der testamentarischen Enterbung von jeder Nachlassteilhabe ausgeschlossen. Damit ist kein "Zwischenergebnis" betroffen.
Rz. 244
Das OLG Hamm hatte einmal die höhere gesetzliche Erbquote des Sohnes im Vergleich zu seiner Schwester bei der Erbfolge nach einem Iraner unbeanstandet gelassen, weil ein solches Ergebnis auch darauf beruhen könne, dass der Erblasser eine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen oder die Schwester auf die Hälfte ihres Erbrechts verzichtet hat. Diese Überlegung ist unzutreffend, da im zugrunde liegenden Fall die geringere Erbquote der Tochter gerade nicht auf einem entsprechenden testamentarisch niedergelegten Willen des Erblassers beruhte, sondern auf dem Gesetz und dieses ausschließlich aufgrund der unterschiedlichen Geschlechtszugehörigkeit differenziert. Anderes könnte in dem Fall gelten, dass der Erblasser nur deswegen von einer (ihm nach dem ägyptischen Recht ohnehin nur eingeschränkt möglichen) letztwilligen Verfügung abgesehen hat, weil er darauf vertraut hat, dass die von ihm gewollte ungleiche Verteilung des Nachlasses von Gesetzes wegen eintritt. Freilich muss in einem solchen Fall dann ein entsprechender Wille des Erblassers nachgewiesen werden.
Rz. 245
Das Ergebnis muss auf der Anwendung ausländischen Rechts beruhen. Ausländisches Recht kann dabei sowohl materielles Erbrecht als auch Kollisionsrecht sein. Kein Fall für den ordre public liegt daher vor, wenn das Ergebnis auf der Anwendung deutschen Rechts beruht, z.B. die Witwe des griechischen Erblassers keinen Pflichtteil erhält, weil die Eheschließung in Deutschland vor einem griechischen Popen ohne entsprechende Lizenz vorgenommen wurde, so dass nach deutschem Recht die Ehe gem. Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB nicht wirksam ist.