Rz. 175
Der Wortlaut des § 206 Abs. 1 S. 1 VVG erweckt den Eindruck, dass in Bezug auf eine die Versicherungspflicht erfüllende Krankheitskostenversicherung ausnahmslos nicht nur wegen Prämienverzuges, sondern auch wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen nicht gekündigt werden kann. Der Gesetzgeber hat die Formulierung "jede" in Abänderung des § 178i VVG a.F. verwendet.
Rz. 176
Der BGH hat inzwischen § 206 Abs. 1 S. 1 VVG jedoch dahingehend teleologisch reduziert, dass er ausnahmslos nur die außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzuges verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist. Damit ist der in der Instanzrechtsprechung entbrannte Streit um den Umfang des Ausschlusses der außerordentlichen Kündigung betreffend einer Krankheitskostenversicherung, die eine Pflicht gem. § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt, geklärt.
Rz. 177
Der BGH räumt ein, dass ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift schlechthin "jede" Kündigung einer solchen Versicherung ausgeschlossen ist. Dennoch sei für eine teleologische Reduktion dahingehend Raum, dass § 206 Abs. 1 VVG unmittelbar lediglich die außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzuges ausschließt, nicht aber eine solche wegen schwerer Vertragsverletzung im Einzelfall gem. § 314 Abs. 1 BGB. Der BGH geht von einer für eine teleologische Reduktion erforderlichen verdeckten Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes aus. Nach der Entstehungsgeschichte der Norm sei es dem Gesetzgeber in erster Linie darum gegangen, den Versicherungsnehmer vor den Folgen des Verlustes des Versicherungsschutzes durch eine Kündigung wegen Verzugs mit der Prämienzahlung zu schützen und ihm seine Alterungsrückstellungen zu erhalten. Der Gesetzgebungsgeschichte sei nicht zu entnehmen, dass dem Versicherer ein außerordentliches Kündigungsrecht versagt werden sollte, sofern es sich um andere, schwerwiegende Vertragsverletzungen außerhalb des Prämienverzuges handelte, insbesondere um Fälle der Leistungserschleichung oder sonstiger gegenüber dem Versicherer bzw. seinen Mitarbeitern verübter Straftaten. Eine Kündigung aus wichtigem Grund in solchen Fällen war bereits nach bisherigem Recht anerkannt.
Rz. 178
Der BGH hat seine Auffassung damit begründet, dass der Versicherer ohne ein außerordentliches Kündigungsrecht selbst in Fällen schwerster Vertragsverletzungen durch den Versicherungsnehmer nur die Möglichkeit hätte, Leistungen zu kondizieren und im Übrigen an den Versicherungsnehmer gebunden wäre. Der Versicherungsnehmer könnte von den strafrechtlichen Folgen abgesehen sanktionslos Versicherungsbetrug begehen.
Aufgrund dessen verstößt nach Auffassung des BGH (a.a.O.) ein vollständiger Ausschluss bereits gegen den in § 314 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Grundsatz des Zivilrechts, dass Dauerschuldverhältnisse bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden können.
Der Gesetzgeber habe den Versicherer auch im Übrigen beim Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechtes nicht rechtlos stellen wollen. Für den Fall des qualifizierten Prämienrückstandes bestimmt § 193 Abs. 6 VVG das Ruhen der Versicherung, seit 1.8.2013 mit der Folge der Fortführung des Vertrages im Notlagentarif.
Zudem sei ohnehin nicht jede Möglichkeit ausgeschlossen, sich vom Krankheitskostenversicherungsvertrag zu lösen, mit dem eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt wird, soweit es um die Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten geht und der Versicherungsnehmer die Verletzung der Anzeigepflicht zu vertreten hat.
Rz. 179
Des Weiteren bestimmt § 193 Abs. 5 S. 4 VVG, dass der Versicherer den Antrag auf Abschluss einer Versicherung im Basistarif ablehnen kann, wenn der Antragsteller bereits bei demselben Versicherer versichert war und dieser den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat oder vom Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist. Eine unterschiedliche Behandlung solcher vorvertraglicher Verletzungen mit sonstigen schweren Vertragsverletzungen wie etwa der Leistungserschleichung sei nicht zu rechtfertigen.
Rz. 180
Zudem seien die Interessen des Versicherungsnehmers dadurch geschützt, dass er seinen Versicherungsschutz nicht vollständig verliert, sondern vielmehr einen Anspruch darauf hat, gem. § 193 Abs. 5 VVG bei jedem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen im Basistarif nach § 152 VAG versichert zu werden. Auch die Gefahr des Verlustes von Alterungsrückstellungen rechtfertigte nicht den vollständigen Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts, da derjenige, der in betrügerischer Weise versucht, Leistungen des Versicherers zu erhalten, die Folgen seines Handelns, die gegebenenfalls auch im Verlust des Versicherungsschutzes einschließlich der Alterungsrückstellungen liegen können, selbst zu tragen hat.
Rz. 181
Obschon das BVerfG ausgef...