Rz. 130
Der Versicherer ist gem. § 155 Abs. 3 VAG verpflichtet, für jeden nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Tarif jährlich die tatsächlich aufgewendeten Versicherungsleistungen mit den kalkulierten Leistungen zu vergleichen. Bei einer Abweichung von mehr als 10 % hat der Versicherer alle Prämien dieses Tarifs zu prüfen und mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen, es sei denn, die Abweichung sei lediglich als vorübergehend anzusehen, § 155 Abs. 3 VAG.
Rz. 131
Die Voraussetzungen für die Prämienanpassung mussten in mehreren höchstrichterlichen Entscheidungen geklärt werden. Diese ersten Entscheidungen sind zunächst zu § 178g Abs. 2 VVG a.F. ergangen, können aber nach wie vor ergänzend herangezogen werden.
In § 203 Abs. 2 S. 1 VVG ist allerdings insoweit abweichend geregelt, als dass die Prämienanpassung nicht mehr auf die Veränderung des Schadensbedarfs, sondern auf die für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlagen abgestellt. Als maßgebliche Rechnungsgrundlagen sind in S. 3 die Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten ausdrücklich genannt.
Rz. 132
Eine Entscheidung des BGH vom 22.9.2004 befasste sich mit einer Prämienanpassung durch den Krankenversicherer vor Inkrafttreten des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG vom 21.7.1994 und mit der Einführung des gesetzlichen Prämienanpassungsrechts in § 178g Abs. 2 VVG a.F. Diesem Urteil war eine Entscheidung des BVerfG vorangegangen mit Ausführungen über die tatsächliche und rechtliche Prüfung der Prämienanpassung durch die Zivilgerichte: Die Prüfung der Prämienanpassung darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob die Zustimmung des Treuhänders vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, ob die objektiven Voraussetzungen für eine Prämienerhöhung gegeben sind.
Rz. 133
In der Entscheidung des BGH vom 16.6.2004 werden die Voraussetzungen und die Berechnungsmaßstäbe für eine Prämienanpassung durch den Krankenversicherer zu einer Prämienanpassung vom 1.1.2000 – geprüft auf der Grundlage der § 178g Abs. 2 VVG a.F. – ausführlich dargelegt.
Rz. 134
Der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, ob die Prämienanpassung nach aktuellen Grundsätzen als mit den bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehend anzusehen ist. Somit ist zunächst zu klären, ob die Anpassungsvoraussetzungen gegeben sind. Ist dies der Fall, ist zu überprüfen, ob die vom Versicherer vorgenommene Neuberechnung der Prämie nach aktuellen Grundsätzen mit den bestehenden Rechtsvorschriften und eventuell zugunsten des Versicherten davon abweichenden vertraglichen Bestimmungen in Einklang steht.
Rz. 135
Bei einer gerichtlichen Überprüfung von Beitragsanpassungen ist in der Krankenversicherung die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sind nur die Unterlagen, die der Versicherer dem Treuhänder zur Prüfung gem. § 155 VAG, § 15 KalV vorgelegt hat.
Dabei kann im gerichtlichen Verfahren über eine Prämienanpassung einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse des Versicherers an den technischen Berechnungsgrundlagen im Einzelfall durch den Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG und die Verpflichtung zur Verschwiegenheit gemäß § 174 Abs. 3 GVG Rechnung getragen werden.
Rz. 136
Viele Fragen rund um die Voraussetzungen einer Prämienanpassung gemäß § 203 Abs. 2 VVG und die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG waren seit 2019 Gegenstand einer wahren Verfahrensflut, die zu einem Bündel von Entscheidungen des BGH geführt haben.
Folgende weitere Fragen wurden durch den BGH geklärt:
Rz. 137
Eine vom Versicherer mit Zustimmung eines "unabhängigen Treuhänders" gemäß § 203 Abs. 2 VVG vorgenommene Prämienanpassung ist nicht allein wegen einer gegebenenfalls zu verneinenden Unabhängigkeit des Treuhänders als unwirksam anzusehen.
Rz. 138
Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie erfordert die Angabe der Berechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat. Entscheidend ist, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in § 155 Abs. 3 und 4 VAG und den in den Tarifbedingungen geregelten Schwellenwert überschreitet. Es müssen allerdings nicht alle Gründe für die Beitragserhöhung genannt werden, sondern nur die für die Prämienanpassung entscheidenden Umstände. Nicht mitgeteilt werden muss, in welcher Höhe sich die Berechnungsgrundlage oder der Rechnungszins verändert hat.
Rz. 139
Unwirksame Prämienerhöhungen können mit einer Heilung ex nunc nachgeholt werden, auch im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens. Erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung wird die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt.
Auch eine so später wirksam gewordene Prämienanpassung bildet fortan die Rechtsgrundlage für den Prämienanspruch in seiner...