Rz. 360
Hinsichtlich des außerordentlichen Kündigungsrechtes bestimmt § 14 Abs. 3 MB/KK, dass die gesetzlichen Bestimmungen über das außerordentliche Kündigungsrecht unberührt bleiben. Demgegenüber ist gemäß § 206 Abs. 1 VVG mit Wirkung zum 1.1.2009 "jede" Kündigung einer Krankheitskostenversicherung, die zur Erfüllung der Versicherungspflicht i.S.v. § 193 Abs. 3 VVG dient, durch den Versicherer ausgeschlossen worden.
Rz. 361
Streitig war in der Folge, was mit der Formulierung "jede Kündigung" gemeint ist und ob tatsächlich auch die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB für den Versicherer durch § 206 Abs. 1 S. 1 VVG ab 1.1.2009 ausgeschlossen sein sollte. Der Wortlaut ließ eine andere Auslegung nicht zu. Hinzu kommt, dass von § 206 VVG gem. § 208 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden durfte. Das BVerfG hatte auch diese Regelung trotz erhobener Bedenken für verfassungskonform gehalten.
Rz. 362
Vor der VVG-Reform wurde dem Versicherer ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 BGB unter engen Voraussetzungen zugebilligt.
Inzwischen hat der BGH bestätigt, dass § 206 Abs. 1 S. 1 VVG dahingehend teleologisch zu reduzieren ist, dass er ausnahmslos nur die außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzuges verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist.
Danach ist eine außerordentliche Kündigung des Versicherers wegen schwerer Vertragsverletzung im Einzelfall gem. § 314 Abs. 1 BGB weiterhin möglich. Infolge der zu § 206 Abs. 1 VVG vorgenommenen teleologischen Reduktion bestehen keine Bedenken mehr gegen die Wirksamkeit von § 14 Abs. 3 MB/KK, der schon zuvor den Eindruck erweckte, als sei eine Kündigung gem. § 314 BGB zulässig. Mithin kann die frühere Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung nach wie vor herangezogen werden.
Möglich bleibt die Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 314 BGB nach wie vor also bei Vorliegen besonders schwerwiegender Umstände des Einzelfalles, wenn etwa der Versicherungsnehmer sich Leistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht oder es zu Tätlichkeiten des Versicherungsnehmers gegenüber Mitarbeitern des Versicherers kommt, wobei aber die Umstände des Einzelfalles genau zu hinterfragen sind.
Insbesondere verweist § 314 Abs. 2 S. 2 BGB auf eine analoge Anwendung des § 323 Abs. 2 BGB, so dass bei Vorliegen besonderer Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen, eine Fristsetzung/Abmahnung entbehrlich sein kann.
Rz. 363
Der BGH (a.a.O.) hat die Entscheidung des OLG Brandenburg und des OLG Oldenburg und des OLG Celle ausdrücklich bestätigt. Den Entscheidungen des BGH lagen Sachverhalte zugrunde, bei denen es zuvor zu tätlichen Angriffen gegen Mitarbeiter bzw. zu betrügerischen Abrechnungen gekommen war. Eine Abmahnung wurde nicht für erforderlich gehalten.
Rz. 364
In der weiteren Entscheidung stellt der BGH klar, dass bei Kündigungen nach § 314 BGB eine Fortsetzung des Vertrages im Basistarif nicht erfolgt und auch dem Versicherungsnehmer insoweit kein Anspruch auf Abschluss eines derartigen Vertrages bei demselben Versicherer zusteht. Nur im Bereich der Pflegepflichtversicherung ist gem. § 110 Abs. 4 SGB XI jede außerordentliche Kündigung durch den Versicherer ausgeschlossen.
Rz. 365
Das OLG Koblenz hat eine fristlose Kündigung wegen Erschleichens von Leistungen bestätigt und das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung in diesem Fall ausdrücklich verneint. Der Senat sah es als erwiesen an, dass der Versicherungsnehmer einen fingierten Rechnungsbeleg über die Anschaffung einer Ersatzbrille vorgelegt und die Erforderlichkeit einer neuen Sehhilfe wegen Zerstörung der alten vorgetäuscht hatte.
Der Entscheidung des OLG Brandenburg lag als Grund für die fristlose Kündigung ein tätlicher Angriff des Versicherungsnehmers auf Mitarbeiter des Versicherers zugrunde.
Grundsätzlich sind jedoch die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung durch den Versicherer in der Krankenversicherung außerordentlich hoch.
Rz. 366
Demgegenüber ging das OLG München von dem Erfordernis einer vorherigen Abmahnung im konkreten Einzelfall aus. Der Versicherte hatte im zu entscheidenden Fall wahllos Arztrechnungen, wegen deren Nichtzahlung er gemahnt worden war, beim Versicherer eingereicht, ohne zu prüfen, ob die Versicherungsleistung nicht bereits erstattet worden ist, so dass es schließlich zu Doppelerstattungen kam. Angesichts der Tatsache, dass die Krankheitskostenversicherung einen Versicherungszweig mit erheblicher sozialer Funktion darstellt, wurde auch bei wiederholten Verstößen eine fristlose Kündigung nicht als gerechtfertigt angesehen. Vielmehr müsse hierzu erst die Wirkung einer Abmahnung mit ihrer Warn- und Sanktionsfunktion abgewartet werden. Danach setzt eine sofortige Kündigung ohne Abmahnung die negative Prognose voraus, dass insbesondere auch bei einer Abmahn...