Rz. 310
In diesem Zusammenhang kann die Frage auftreten, ob mehrere Behandlungen Teile eines einheitlichen Versicherungsfalls sind oder ob mehrere Versicherungsfälle vorliegen.
Rz. 311
Ein einheitlicher Versicherungsfall liegt vor, wenn verschiedene Behandlungen – auch durch verschiedene Ärzte oder nach Arztwechsel – sich auf ein und dasselbe Leiden beziehen, unabhängig davon, ob die Diagnose unverändert ist. Bei mehreren Behandlungsakten ist erforderlich, dass diesen ein einheitlicher Gesamtplan zugrunde liegt.
Rz. 312
Auch bei einer medizinisch bedingten Behandlungspause liegt ein Versicherungsfall vor. Der BGH führt hierzu aus:
Zitat
"Nimmt ein Versicherungsnehmer einen Arzt in Anspruch, um die verbliebenen Folgen eines bestehenden und dem Versicherer bekannten Leidens – hier durch eine neue Operationsmethode – beheben oder lindern zu lassen, so "beginnt" die Heilbehandlung jedenfalls mit der ersten ärztlichen Untersuchung, ohne Rücksicht darauf, ob der Arzt sofort die eigentliche Heilmaßnahme einleitet, oder ob er sich dazu erst nach weiterer Prüfung des Falls entschließt."
Entscheidend ist, ob den Behandlungsabschnitten ein Gesamtplan zugrunde liegt; medizinisch bedingte Behandlungspausen führen dann nicht zur Annahme mehrerer Versicherungsfälle.
Rz. 313
Das OLG Stuttgart vertrat die Auffassung, dass eine einige Jahre später aufgrund erneut auftretender Schmerzen durchgeführte Zahnbehandlung im selben Bereich einen neuen Versicherungsfall darstellen kann, wenn ein Versicherungsnehmer nach der Erstellung eines Heil- und Kostenplanes die dort vorgeschlagene Behandlung nicht durchführen lässt und stattdessen auf anderem Weg – hier durch die Extraktion eines Zahnes – die Funktionsfähigkeit des Gebisses mit aktueller Schmerz- und Beschwerdefreiheit wiederhergestellt hat.
Rz. 314
Bei schon bekannten Krankheiten, bei denen es Arzt und Patient darum geht, nach in sich abgeschlossener erster Behandlungsphase verbliebene Krankheitsfolgen zu beheben oder zu lindern, ist meist keine ärztliche Untersuchung zur Erkennung des Leidens mehr notwendig. Der BGH hat ausdrücklich hervorgehoben, dass auch in diesen Fällen die Heilbehandlung mit der ersten Inanspruchnahme jeglicher ärztlicher Tätigkeit beginnt, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Tätigkeit des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt. Die Beschwerdefreiheit an sich ist kein relevantes Kriterium für die Frage weiterer Behandlungsbedürftigkeit und damit die Beendigung des Versicherungsfalls.
Wenn der Versicherungsnehmer einmal wegen einer Krankheit einen Arzt in Anspruch genommen hat und es sich tatsächlich um die Weiterbehandlung der früheren Krankheit handelt, kann er den Versicherungsfall nicht willkürlich abbrechen. Die erst spätere Wiederaufnahme der notwendigen Behandlung zu einem ihm geeignet erscheinenden Zeitpunkt führt nicht zur Annahme eines neuen Versicherungsfalls. Ob Behandlungsbedürftigkeit noch oder nicht mehr gegeben war, ist notfalls tatrichterlich unter Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens festzustellen.
Rz. 315
Zur Frage der Vorvertraglichkeit im Zusammenhang mit Zusatzzahntarifen hat das OLG Karlsruhe danach differenziert, ob bei einem Behandlungsbeginn vor Zustandekommen des Vertrages und Ablauf der Wartezeit der vom Arzt angeratene Verzicht auf die ärztlichen Heilbehandlung aus medizinischer Sicht eine gut vertretbare Alternative darstellt und ob die mit der Untersuchung vor Vertragsbeginn begonnene Heilbehandlung abgeschlossen wurde. Die Frage des Vorliegens von Behandlungsbedürftigkeit ist nach objektiven Kriterien zu bemessen, wobei ein ebenfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmender Entscheidungsspielraum eröffnet sei.
Bei einem chronischen Leiden gilt Folgendes: Die Behandlung einer akuten Beschwerde ist dann ein eigener Versicherungsfall, wenn das Dauerleiden selbst nicht mehr behandlungsbedürftig ist. Wenn das Dauerleiden als solches ohnehin behandlungsbedürftig ist und akute Beschwerden hinzukommen, die eine von der Betreuung des Dauerleidens unabhängige Behandlung benötigen, liegen mehrere Versicherungsfälle vor.
Rz. 316
Anders verhält es sich, wenn das Dauerleiden immer wieder zu erneut auftretenden bestimmten Beschwerden führt (z.B. Dialyse). Dann liegt ein einheitlicher Versicherungsfall vor. Ein einheitlicher Versicherungsfall ist auch die sich über acht Jahre erstreckende Hormonbehandlung wegen sekundärer Sterilität.