Leitsatz (amtlich)
1. In der Krankheitskostenversicherung ist der Versicherungsfall nicht vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten, wenn vor Beginn ein körperlicher Befund zwar Gegenstand einer ärztlichen Untersuchung war, der vom Arzt angeratene Verzicht auf eine ärztliche Heilbehandlung aus medizinscher Sicht aber eine gut vertretbare Alternative darstellte, weil die mit der Untersuchung begonnene Heilbehandlung auch wieder abgeschlossen wurde.
2. Das Vorliegen einer Behandlungsbedürftigkeit i.S.v. § 1 Abs. 2 MB/KK bemisst sich nach objektiven Kriterien, wobei ein ebenfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmender Entscheidungsspielraum eröffnet ist.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 06.07.2012; Aktenzeichen 3 O 14/12) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 6.7.2012 - 3 O 14/12 - im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.534,67 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.2.2012 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 361,17 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.2.2012 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger, der gesetzlich krankenversichert ist, schloss bei der Beklagen mit Wirkung vom 1.11.2008 eine Zahnzusatzversicherung mit den Tarifen " flexiZahnbehandlung" und "flexiZahnersatz top" ab. Sein Antrag datiert vom 20.10.2008.
Unter § 2 Nr. 1 der in den Vertrag einbezogenen Versicherungsbedingungen heißt es:
"Für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, wird nicht geleistet."
§ 1 Nr. 2 lautet:
"Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund eine Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht."
Am 14.8.2008 wurde durch den behandelnden Zahnarzt H eine Röntgenaufnahme des klägerischen Gebisses angefertigt, und der Kläger über Zahnersatz und eine PA-Behandlung beraten. Am 16.3.2011 wurden beim Kläger Implantate an den Zähnen 15 - 17 gesetzt. Die Behandlung wurde am 1.4.2011 mit 3.253,21 EUR und am 7.9.2011 mit 4.045,90 EUR in Rechnung gestellt. Nach Abzug eines Zuschusses der Krankenkasse von 380,77 EUR macht der Kläger 80 % der Summe geltend.
Der Kläger ist der Ansicht, dass der Versicherungsfall erst nach Antragstellung eingetreten sei. Der Versicherungsfall beginne nämlich erst mit der medizinisch notwendigen Heilbehandlung. Dabei könne nicht jede medizinische Untersuchung bereits den Eintritt eines Versicherungsfalles darstellen. In diesem Zusammenhang behauptet der Kläger unter Bezugnahme auf ein Schreiben seines behandelnden Zahnarztes H vom 12.8.2011, dass bei Antragstellung kein akuter Handlungsbedarf vorgelegen habe; er sei klinisch beschwerdefrei gewesen. Erst 2010 habe er Schmerzen an den Zähnen 15 - 17 bekommen.
Der Kläger hat beantragt:
1. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.534,67 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
2. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 361,17 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Versicherungsfall bereits vor Antragstellung eingetreten sei. Hierzu behauptet sie unter Bezugnahme auf ein Gutachten des Zahnarztes G vom 5.4.2011, dass die Brücke der Zähne 15 - 17 bereits bei Antragstellung insuffizient gewesen sei. Der röntgenologische Befund habe insofern nicht übersehen werden können.
Das LG hat mit Urteil vom 6.7.2012, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Der Versicherungsschutz umfasse nicht Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten seien. Die Heilbehandlung beginne mit der ersten Inanspruchnahme einer ärztlichen Tätigkeit. Zur Behandlung einer Krankheit gehöre nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, sondern auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf die Erkennung des Leidens abziele. Die Feststellungen in der Röntgenaufnahme und die Beratungen über den Zahnersatz reichten aus, um von einer begonnenen Heilbehandlung und somit von einem Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen auszugehen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Das LG habe die Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes H nicht hinreichend gewürdigt. Danach habe zum damaligen Zeitpunkt kein akuter Handlungsbedarf bei klinisch beschwerdefreiem Patienten bestanden. Das LG hätte angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse der Privatgutachter ein gerichtliches Sachverständigengutachten, dass kein Zah...