A. Allgemeines
Rz. 1
Das Thema "Vorsorgevollmacht" wird zunehmend Gegenstand von Rechtsberatungen und rechtlichen Auseinandersetzungen: Immer mehr Menschen in Deutschland errichten eine Vorsorgeurkunde. Im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer sind mehr als 5 Millionen Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und Patientenverfügungen registriert. Sowohl für den Vollmachtgeber als auch für den Bevollmächtigten stellen sich eine Vielzahl an Rechtsfragen, die bei Erteilung und Gebrauch der Vollmacht von Bedeutung sind. Der Vorsorgebevollmächtigte, der im Rechtsverkehr für den Vollmachtgeber auftritt, gibt – wie ein "gewöhnlicher" Bevollmächtigter – Willenserklärungen in fremdem Namen ab. Da gemäß § 164 Abs. 1, Abs. 2 BGB eine in fremdem Namen abgegebene Willenserklärung nur dann unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt, wenn die Stellvertretung offenkundig gemacht wurde, wird sich der Vorsorgebevollmächtigte regelmäßig durch Vorlage der Vollmachtsurkunde gegenüber seinem Geschäftspartner legitimieren müssen, § 172 BGB.
B. Allgemeine Pflicht zur Vorlage von Vollmachtsurkunden
I. Formerfordernisse für die Vollmachtsurkunde
Rz. 2
Eine Vollmachtsurkunde ist eine schriftliche Erklärung darüber, dass einer in der Urkunde bezeichneten Person (i.d.R. Bezeichnung durch Name, Vorname, gegebenenfalls Anschrift) durch den Vollmachtgeber Vollmacht erteilt wurde. Da der Gesetzgeber in § 172 BGB ausdrücklich die Vorlage einer "Urkunde" regelt, ist die Schriftform i.S.d. § 126 BGB zu wahren. Es muss sich somit um ein Schriftstück handeln, bei dem der Urkundeninhalt durch eine
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abschließende und den Text abdeckende Namensunterschrift oder |
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ein notariell beglaubigtes Handzeichen |
vom Vollmachtgeber als Aussteller unterzeichnet ist.
Rz. 3
Zwingend erforderlich für die Wirksamkeit der Vollmacht ist die namentliche Nennung des Bevollmächtigten nicht, soweit aus der Urkunde eindeutig die Person des Vertreters hervorgeht. Dies gilt selbst im Hinblick auf die grundbuchrechtlichen Vorgaben in § 29 GBO.
II. Vorlage der Urkunde an den Geschäftsgegner
1. Vorlagepflicht/Vorlagezwang
Rz. 4
Der Vollmachtgeber, der seinem Bevollmächtigten willentlich eine Vollmachtsurkunde aushändigt, trägt das Risiko, dass die ausgehändigte Vollmachtsurkunde missbraucht wird. Insoweit regelt § 172 BGB die Begründung eines Rechtsscheins:
Zugunsten desjenigen, dem die Vollmachtsurkunde vorgelegt wurde, wird vermutet, dass der Inhaber der Vollmachtsurkunde auch tatsächlich bevollmächtigt ist. Dies gilt aber nur, wenn der Geschäftsgegner bezüglich des Bestehens der Vollmacht gutgläubig ist und die Vollmachtsurkunde dem gutgläubigen Geschäftsgegner vor oder bei Abschluss des Vertretergeschäfts vorgelegt wird. In der Beratungspraxis kann man ggf. empfehlen, dass der Vollmachtgeber die Vollmachtsurkunde (das Original bei privatschriftlicher Vollmacht, die Ausfertigung bei einer notariell beurkundeten Vollmacht) zunächst zurückhält und nicht vor Eintritt des Vorsorgefalls an den Bevollmächtigten aushändigt.
Rz. 5
Da bei Vorlage einer Vollmacht eine Rechtsscheinhaftung begründet wird, wird man weniger von einer rechtlichen Pflicht, denn von einem faktischen Zwang zur Vorlage der Vollmacht sprechen müssen, da das Vertrauen des Geschäftsgegners in die Vertretungsmacht nur dann geschützt wird, wenn er sich die Vollmachtsurkunde vorlegen lässt oder die Bevollmächtigung nach § 171 BGB kundgegeben wurde. Der Geschäftsgegner wird also allein deshalb auf die Vorlage einer Vollmacht bestehen, um sich auf den darauf beruhenden Rechtsschein berufen zu können. Gleichzeitig wird der Bevollmächtigte regelmäßig eine Vollmachtsurkunde vorlegen wollen, um die Stellvertretung offenkundig zu machen und dies auch zu dokumentieren.
2. Vorlage der Urkunde in Urschrift oder als Ausfertigung
Rz. 6
Der Geschäftsgegner kann sich nur dann auf einen durch die vorgelegte Vollmachtsurkunde begründeten Rechtsschein berufen, wenn ihm die Urkunde in
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Urschrift oder |
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als Ausfertigung |
vorgelegt worden ist. Die Urkunde ist vor oder spätestens bei Abschluss des Vertretergeschäfts vorzulegen. Die Regelung des § 172 Abs. 1 BGB greift nicht ein, wenn lediglich beglaubigte Abschriften oder Auszüge der Urkunde, Fotokopien oder Faxkopien vorgelegt werden, da solche Vervielfältigungen in unbegrenzter Zahl hergestellt werden können und daher keine Authentizität haben.
Bei der Abgabe einseitig empfangsbedürftiger Willenserklärungen in fremden Namen (z.B. Kündigung, Anfechtung) sollte der Bevollmächtigte seinerseits darauf achten, eine Ausfertigung bzw. Urschrift der Vollmachtsurkunde vorzulegen. Wird hier lediglich eine Abschrift der Vollmachtsurkunde vorgelegt, riskiert der Bevollmächtigte die Zurückweisung der Erklärung durch de...