Rz. 96
Vom Beginn und Ende des zeitlichen Geltungsbereichs hängt die Frage der Leistungspflicht des Versicherers ab. Da der Verstoß (Kausalereignis) der Versicherungsfall ist (§ 5 I AVB), ist der Versicherer leistungspflichtig, wenn der Anwalt während der versicherten Zeit gegen seine Rechtspflichten verstößt. Sein Versicherungsschutz liegt kongruent zu seiner Berufsausübungszeit. Es kommt also nicht darauf an, wann die Folgen des Verstoßes (Folgeereignis) eintreten, wann etwa ein Dritter Schadensersatzansprüche erhebt oder jedenfalls für möglich hält. Grds. sind also solche Verstöße nicht gedeckt, die vor Beginn des Versicherungsschutzes begangen wurden, auch wenn sich die Folgen dieses Verstoßes erst in versicherter Zeit zeigen (Ausnahme Rückwärtsversicherung, vgl. Rdn 98). Diese zeitliche Kongruenz zwischen Versicherungsschutz und Berufsausübung wurde durch die geänderte Rechtsprechung zur akzessorischen Haftung der Sozien in der GbR aufgeweicht. Für die Partnerschaftsgesellschaft hat der BGH klargestellt, dass ein "Befasstsein" i.S.d. § 8 Abs. 2 PartGG auch dann vorliegt, wenn ein Partner zum Zeitpunkt des Verstoßes noch nicht Kanzleimitglied war, aber anschließend den Fall übernimmt oder zumindest Bearbeitungsbeiträge von nicht ganz untergeordneter Bedeutung erbringt. Diese Haftungssituation könnte also problematisch sein für Rechtsanwälte, die neu als Sozien in eine GbR oder eine Partnerschaftsgesellschaft eintreten, in der sich Angehörige freier Berufe zu gemeinsamer Berufsausübung zusammengeschlossen haben (vgl. § 1 Rdn 391ff.
Rz. 97
Das Verstoßprinzip bringt es mit sich, dass der Versicherer für Verstöße einzutreten hat, die in versicherter Zeit begangen wurden, auch wenn die Folgen erst nach Beendigung des Vertrages aufkommen. Dies ist der entscheidende Unterschied zum Claims-made-Prinzip der angelsächsischen Länder, wo es auf die Anspruchserhebung noch während der Laufzeit des Versicherungsvertrages ankommt; erfolgt die Geltendmachung der Schadensersatzforderung erst nach Ablauf der Versicherungsvertragszeit, ist der Versicherer leistungsfrei, es sei denn, es ist individualvertraglich eine Nachhaftungszeit vereinbart worden, in der durch die Anspruchserhebung noch die Leistungspflicht des Versicherers ausgelöst werden kann. Mit dem Geschädigtenschutzgedanken der Pflichtversicherung (vgl. Rdn 2) ist das Claims-made-Prinzip nicht vereinbar. Da § 51 BRAO keine Nachhaftung vorsieht, ist im Interesse des Geschädigtenschutzes davon auszugehen, dass die gesetzliche Vorgabe auf dem Gedanken des Verstoßprinzips basiert und zumindest im Bereich der Pflichtversicherung keine Deckung auf Basis des Claims-made-Prinzips – auch nicht mit Nachhaftungsklausel – zulässt. Erhebt daher ein Dritter nach Ablauf der Versicherungszeit wegen eines Verstoßes, begangen während der versicherten Zeit, Ansprüche, sind diese nach dem in Deutschland maßgeblichen Verstoßprinzip gedeckt. Diese Regelung kann zur Folge haben, dass der Versicherer auch 25 Jahre nach Vertragsende noch leisten muss. Hat z.B. der Anwalt einen späteren Erblasser bei der Abfassung des Testaments falsch beraten, kann sich der Fehler erst sehr spät im Erbfall herausstellen. Gelegentlich werden deshalb sog. "Nachhaftungsvereinbarungen" ausgehandelt, wonach z.B. Versicherungsschutz nur für Verstöße besteht, die binnen einer bestimmten Frist nach Vertragsbeendigung dem Versicherer gemeldet werden. Solche Nachhaftungsvereinbarungen sind allerdings nur im Bereich der freiwillig abgeschlossenen Versicherungsverträge zulässig, also bei Zusatzdeckungen "oberhalb" bzw. "außerhalb" der Pflichtversicherung.
Über das Verstoßprinzip sind auch noch haftende Rechtsnachfolger wie insb. Erben geschützt.