Rz. 113
Der Unterschied hat erhebliche praktische Auswirkungen, weil Ursache und Schadensfolge zeitlich weit auseinanderliegen können. Mit der Definition des § 5 AVB als "Verstoß" (des Rechtsanwalts gegen seine Berufspflichten) knüpft die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung an den frühestmöglichen Zeitpunkt an. Der Anwalt, der falsch berät, hat im Zeitpunkt der Falschberatung schon alles getan, damit der Versicherungsfall als gegeben angesehen werden kann, soweit die Falschberatung einen Schaden zur Folge haben könnte. Der Versicherungsfall ist also nicht erst in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem die Folgen der Falschberatung zutage treten. Das bedeutet aber auch, dass derjenige Versicherer deckungspflichtig ist, der im Zeitpunkt der Falschberatung Vertragspartner des Anwalts war. Der Umfang der Deckung richtet sich demnach auch nach dem seinerzeit bestehenden Inhalt des Versicherungsvertrages. Hat der Anwalt den Versicherer gewechselt, ist der Nachfolgeversicherer nicht eintrittspflichtig, auch wenn sich der Schaden erst während des Versicherungsverhältnisses mit diesem Versicherer zeigt (zur Vorwärts- und Rückwärtsversicherung sowie zur Nachhaftung siehe Rdn 96 ff.). Nur das Verstoßprinzip ist in der Lage, den Zeitraum der beruflichen Tätigkeit mit dem Zeitraum kongruent zu halten, in dem der Versicherungsvertrag Bestand haben muss. Schon das Abstellen auf die Schadenentstehung würde zwingend Versicherungsschutz auch nach Beendigung der versicherten Tätigkeit erforderlich machen. Das Verstoßprinzip gewährleistet, dass der Versicherungsnehmer sicher sein kann, nach Rückgabe der Zulassung sofort den Versicherungsvertrag aufkündigen zu können und dennoch alle Risiken auch bei zukünftiger Schadenentstehung und/oder Inanspruchnahme abgesichert zu haben.
Rz. 114
Bei der Beurteilung, wann ein Versicherungsfall stattgefunden hat, ist bei zeitlich mehreren Möglichkeiten grds. auf den ersten Verstoß gegen Berufspflichten abzustellen, der die Kausalkette zum Schaden in Gang gesetzt hat.
Der erste Verstoß ist auch dann der zeitlich entscheidende, wenn der Versicherungsnehmer im weiteren Verlauf die Möglichkeit hatte, durch eine korrigierende Handlung die Kausalkette zu unterbrechen und den Schaden zu vermeiden, dies aber unterlassen hat. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn im weiteren Verlauf eine besondere Pflicht zum Handeln bestand, etwa eine erneute Prüfung und Entscheidung veranlasst war und durch ordnungsgemäße Erfüllung der Pflicht der Schaden vermieden worden wäre. Dass der erste Verstoß entscheidend ist, kann i.Ü. nur dann gelten, wenn sämtliche in Frage kommenden Pflichtverletzungen auch wirklich zum selben Schaden geführt haben. Mehrere Versicherungsfälle liegen vor, wenn ein von dem ersten Verstoß unabhängiges Unterlassen oder Handeln, das auf einem erneuten Entschluss beruht, eine neue Kausalkette in Gang gesetzt und einen selbstständigen Schaden herbeigeführt hat. Das gilt auch, wenn die weiteren Verstöße auf derselben Art von Fehlern oder Vorstellungen beruhen wie der Erste. Nach § 51 Abs. 2 BRAO ist allerdings eine Vereinbarung zulässig, wonach sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Auftrags, mögen diese auf dem Verhalten des Rechtsanwalts oder einer von ihm herangezogenen Hilfsperson beruhen, als ein Versicherungsfall gelten (sog. Serienschadenklausel; vgl. § 3 II Nr. 2.1 AVB).