I. Allgemeines
Rz. 30
Bei dem Europäischen Nachlasszeugnis (nachfolgend: ENZ) handelt es sich um einen Rechtsnachweis sui generis, der in den meisten Mitgliedstaaten der Union einheitliche Rechtswirkungen entfaltet (Art. 62–73 EuErbVO). Darin, dass fast alle Mitgliedstaaten das ENZ als Nachweis der Stellung des Erben oder des Vermächtnisnehmers bzw. der Befugnisse als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter nunmehr anerkennen, liegt eine erhebliche Erleichterung bei grenzüberschreitenden Erbfällen. Ein weiteres Verfahren ist nicht mehr erforderlich, so dass damit dieser Erbnachweis die Abwicklung des Nachlasses in der gesamten Europäischen Union (mit Ausnahme von Irland und Dänemark) ermöglicht. Unberührt bleiben bilaterale Abkommen der Mitgliedstaaten (Art. 75 Abs. 1 EuErbVO). Die EuErbVO gilt unmittelbar (Art. 288 Unterabs. 2 AEUV). Sie wird ergänzt durch zahlreiche Formblätter, die die Kommission auf Grundlage von Art. 80 EuErbVO erarbeitet hat. Der deutsche Gesetzgeber hat zur Durchführung das Internationale Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG) geschaffen.
Rz. 31
Das ENZ ist zur Verwendung durch Personen bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte ausüben wollen (Art. 63 Abs. 1 EuErbVO). Die Verwendung des Zeugnisses ist nicht verpflichtend; es tritt nicht an die Stelle der nationalen Erbnachweise (deutscher Erbschein) und will diese auch nicht verdrängen (Art. 62 Abs. 2 und 3 S. 1 EuErbVO).
II. Zuständigkeit und anwendbares Verfahrensrecht
1. Internationale Zuständigkeit
Rz. 32
Die internationale Zuständigkeit für die genannten Verfahren ist in der EuErbVO geregelt. Hier gelten die Art. 4 ff. EuErbVO. Ein rügeloses Einlassen ist nicht möglich, da Art. 64 EuErbVO nicht auf Art. 9 EuErbVO verweist. Regelmäßig sind daher die Gerichte des Mitgliedstaats international zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 4 EuErbVO.
Rz. 33
In Deutschland regelt § 33 IntErbRVG den Anwendungsbereich des Gesetzes für das ENZ. Demnach gilt der 5. Abschnitt des IntErbRVG sowohl für Verfahren über die Ausstellung, Berichtigung, Änderung oder den Widerruf des ENZ als auch für Verfahren über die Erteilung einer beglaubigten Abschrift eines ENZ oder die Verlängerung der Gültigkeitsfrist einer beglaubigten Abschrift und auch über die Aussetzung der Wirkungen eines ENZ. Was die anzuwendenden Verfahrensvorschriften anbelangt, bestimmt § 35 Abs. 1 IntErbRVG, dass die Vorschriften des FamFG Anwendung finden. Vorrangig sind aber die Verfahrensvorschriften der EuErbVO zu beachten. § 35 Abs. 2 IntErbRVG sieht vor, dass das Nachlassgericht bei Anträgen, die nicht in deutscher Sprache abgefasst sind, eine Übersetzung verlangen kann, § 184 S. 1 GVG. Für die Unterrichtung der Berechtigten durch öffentliche Bekanntmachung verweist § 35 Abs. 3 IntErbRVG auf die §§ 435–437 FamFG. Insoweit ist eine Frist von mindestens sechs Wochen vorgesehen.
2. Sachliche Zuständigkeit
Rz. 34
§ 34 IntErbRVG regelt die örtliche und die sachliche Zuständigkeit. Nach § 34 Abs. 4 IntErbRVG ist das Amtsgericht als Nachlassgericht sachlich ausschließlich zuständig. Sind nach landesgesetzlichen Vorschriften für die Aufgaben des Nachlassgerichts andere Stellen als Gerichte zuständig, so sind diese ausschließlich zuständig, § 34 Abs. 4 S. 3 IntErbRVG.
3. Örtliche Zuständigkeit
Rz. 35
Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit greifen § 34 Abs. 1 und 2 IntErbRVG die Fälle auf, in denen die EuErbVO der Sache nach nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit festlegt. § 34 Abs. 3 S. 1 IntErbRVG bestimmt die örtliche Zuständigkeit in Anlehnung an die allgemeine internationale Zuständigkeitsregel des Art. 4 EuErbVO und knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes an. Hatte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland, ist das Gericht örtlich ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Hatte der Erblasser keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ist das Amtsgericht Schöneberg in Berlin örtlich ausschließlich zuständig. Entsprechend der Regelung des § 343 Abs. 2 FamFG kann das Amtsgericht Schöneberg in Berlin die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Nachlassgericht verweisen.
4. Funktionelle Zuständigkeit
Rz. 36
Auch die Regelungen der funktionellen Zuständigkeit im nachlassgerichtlichen Verfahren wurden durch das Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften ergänzt. So erhielt § 16 RPflG einen neuen Abs. 2. Demnach sind Verfahren im Zusammenhang mit dem ENZ dem Richter vorbehalten, sofern eine Verfügung von Todes wegen vorliegt oder die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt. § 16 Abs. 3 RPflG n.F. sieht eine Übertragungsmöglichkeit auf den Rechtspfleger vor, wenn deutsches Recht zur Anwendung kommt.
5. Antrag
Rz. 37
Für den Antrag auf Ausstellung des ENZ verweist § 36 Abs. 1 IntErbRVG auf Art. 65 EuErbVO. Auch hat der ...