Rz. 111
Nach dem englischen common law unterliegt die Erbfolge des beweglichen und des unbeweglichen Nachlasses unterschiedlichen Regeln (Nachlassspaltung). So gilt für die Erbfolge in den unbeweglichen Nachlass das jeweilige Belegenheitsrecht. Für die Unterscheidung zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass stellt das englische IPR auf das jeweilige Belegenheitsrecht ab (Qualifikationsverweisung). Für in Deutschland belegene Gegenstände entscheiden also die zu Art. 25 Abs. 2 EGBGB a.F. entwickelten Kriterien darüber, ob ein Recht als beweglich oder unbeweglich zu qualifizieren ist. Nach den insoweit für die in Großbritannien belegenen Gegenstände geltenden Grundsätzen sind grundsätzlich alle Rechte an Grundstücken als unbeweglich zu qualifizieren, insbesondere das Eigentum, die Erbpacht (leasehold) und Hypotheken. Gleiches gilt für mit Grundstücken fest verbundene Gegenstände und Vieh eines Bauernhofs.
Rz. 112
Für die Erbfolge des beweglichen Nachlasses (movables) verweist das englische Recht auf das Recht am letzten domicile des Erblassers. Ein domicile i.S.d. englischen Rechts bezeichnet die Verbindung zu einem bestimmten Rechtsgebiet, also z.B. zu England und Wales, zu Schottland oder zu Deutschland. Anders als beim Wohnsitz deutschen Rechts kann niemand ohne domicile sein oder mehr als ein domicile zur selben Zeit innehaben. Eine solche Zugehörigkeit wird zuerst durch Geburt erworben (domicile of origin) und ist bei ehelichen Kindern das domicile des ehelichen Vaters. Minderjährige haben kein eigenes domicile, sondern leiten ein domicile of dependency von ihrem Vormund ab. Eine volljährige Person kann ein eigenes domicile begründen (domicile of choice). Erforderlich dafür ist die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in ein anderes Rechtsgebiet. Hinzukommen muss die Absicht, dort auf Dauer zu bleiben und nicht in das ursprüngliche Gebiet zurückzukehren (animus manendi et non revertendi). Dafür reicht es nicht aus, wenn der neue gewöhnliche Aufenthalt auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt oder für einen bestimmten Zweck begründet worden ist. Er muss vielmehr allgemein und unbefristet in Bezug auf die Zukunft sein. Daher kann selbst bei einem Aufenthalt von mehreren Jahrzehnten kein domicile of choice entstehen, solange der propositus beabsichtigt, später – etwa nach Erreichen des Rentenalters – in seine Heimat zurückzukehren. Zur Feststellung sind sämtliche Umstände des Einzelfalls heranzuziehen und zu gewichten. Feste Regeln, etwa für den Fall des Wechsels der Staatsangehörigkeit, gibt es nicht. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass das alte domicile fortbesteht.
Rz. 113
Wird das domicile of choice aufgegeben, z.B. weil der gewöhnliche Aufenthalt verlegt wird, ohne dass ein neues domicile begründet wird, lebt das domicile of origin wieder auf (revival of domicile of origin).
Rz. 114
Die Verweisung auf das ausländische Erbrecht umfasst auch aus englischer Sicht das ausländische IPR. Rückverweisungen werden also beachtet:
Beispiel
In Re Ross verstarb eine Britin mit letztem domicile in Italien. Sie hinterließ ihr in England belegenes bewegliches Vermögen einer Nichte und ihr in Italien belegenes bewegliches und unbewegliches Vermögen einem Großneffen. Ihr alleiniger Sohn klagte in England unter Berufung auf das Noterbrecht nach italienischem Recht die Hälfte des Nachlasses ein. Der High Court of Justice wandte hier aufgrund des domicile der Erblasserin das italienische Recht an, beachtete jedoch die Rückverweisung durch das italienische IPR auf das britische Heimatrecht der Erblasserin und kam so wieder zum englischen Recht. Der Pflichtteilsklage wurde daher nicht nach dem italienischen Recht stattgegeben, sondern sie wurde nach dem englischen Recht als unbegründet abgewiesen.
Rz. 115
Anders als nach dem deutschen IPR wird aus englischer Sicht jedoch nach einer Rückverweisung auf das englische Recht nicht unmittelbar das eigene materielle Recht angewandt – also nicht wie in Art. 34 EuErbVO jede Rückverweisung quasi als Sachnormverweisung auf das eigene Recht umgedeutet. Vielmehr folgen die englischen Gerichte bei der Bestimmung des Erbstatuts der sog. foreign court doctrine, nach der im Fall der Rückverweisung das anwendbare Recht so bestimmt wird, wie das Gericht des Staates entscheiden würde, auf dessen Recht das englische Recht zuerst verwiesen hat.
In Re Ross war die Verweisungskette in England abzubrechen, weil nach damaligem italienischem IPR das italienische Recht ausschließlich auf das ausländische Sachrecht verwies, Rück- und Weiterverweisungen aus italienischer Sicht also nicht beachtet wurden. Nach der ab 1995 bis zur Anwendbarkeit der EuErbVO in Italien geltenden Rechtslage hingegen wäre aus italienischer Sicht die Verweisung des englischen IPR auf das italienische Recht als Rückverweisung beachtet und das italienische Erbrecht angewandt werden. Dementsprechend hätte ein englisches Gericht in Re Ross dieser Verweisungskette folgen und sc...