Rz. 18
China ist Mehrrechtsgebiet. In Hongkong und Makao sind die dort bis zur Rückgabe an China geltenden Vorschriften weiterhin anzuwenden. Da auch ein einheitliches interlokales Kollisionsrecht fehlt, ist aus deutscher Sicht zur Bestimmung der einschlägigen Teilrechtsordnung Art. 36 Abs. 2 EuErbVO anzuwenden. Es ist also unmittelbar das Recht des Teilrechtsgebietes anzuwenden, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das gilt selbstverständlich vorbehaltlich einer Rückverweisung auf das Recht eines EU-Mitgliedstaates, z.B. wegen der Belegenheit von Immobilien in der EU.
In Festlandchina wird das Erbstatut gem. Art. 31 Gesetz der Volksrepublik China zur Anwendung des Rechts auf zivilrechtliche Beziehungen mit Auslandsberührung für bewegliches Vermögen an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers, für unbewegliches Vermögen an die Belegenheit angeknüpft. Für die Formwirksamkeit eines Testaments gilt eine dem Haager Testamentsformabkommen vom 5.10.1961 angelehnte Regelung.
In Hongkong gilt das Kollisionsrecht des englischen common law (siehe Rdn 111 ff.). In Makao wird das Erbstatut nun an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpft.
Rz. 19
Das Erbrecht ist in der Volksrepublik China mit Wirkung vom 1.1.2021 im 6. Buch des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China vom 28.5.2020 geregelt. Dessen Regeln haben die sehr knapp gehaltenen Regeln des Erbgesetzes der VR China aus dem Jahr 1985 weitgehend wörtlich übernommen und nur an ganz wenigen Punkten ergänzt. Auch wenn häufig gesagt wird, das chinesische Familien- und Erbrecht orientiere sich an "europäischen" Gesetzbüchern oder "chinesischen Institutionen", so ist doch nicht verkennbar, dass das chinesische Familien- und Erbrecht seit den revolutionären Tagen in Yanan inhaltlich wie auch von der formellen Ausprägung her weiterhin sich an der sowjetischen Gesetzgebung orientiert – wobei das natürlich nicht ausschließt, dass diese wiederum sich an westeuropäischen Grundlagen – insbesondere deutschsprachigen – orientiert hat.
Rz. 20
Gem. Art. 1155 ZGB muss bei der Nachlassteilung dem Nasciturus stets sein gesetzlicher Erbteil vorbehalten werden. Diesem kommt damit ein testamentarisch nicht entziehbarer zwingender Erbteil in Höhe seiner gesetzlichen Erbquote (dazu Art. 1126 ff. ZGB) zu. Gem. Art. 1141 ZGB muss ein Testament darüber hinaus arbeitsunfähigen und einkommenslosen Erben die notwendige Quote am Nachlass belassen. Das Entstehen der Pflichtteilsrechte ist von der Bedürftigkeit des Angehörigen abhängig. Der Kreis der möglicherweise Berechtigten umfasst neben dem Ehegatten des Erblassers seine Abkömmlinge, Eltern, Geschwister und die Großeltern. Zwar schließen hierbei Erben erster Ordnung einen Pflichtteil solcher Personen, die zur zweiten Ordnung gehören, wohl aus. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass neben den Abkömmlingen und dem Ehegatten auch die Eltern schon zu den Erben erster Ordnung gehören und im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge grundsätzlich zu gleichen Teilen erben. Die Pflichtteilsquote kann vom Gericht nach eigenem Ermessen festgesetzt werden und umfasst alles, was diese für ihre allgemeinen Lebensbedürfnisse benötigen. Der Pflichtteil kann daher im Extremfall (großer Unterhaltsbedarf des Angehörigen und geringer Wert des Nachlasses) über die hypothetische gesetzliche Erbquote hinausgehen und den gesamten Nachlass aufzehren. Ein Testament ist insoweit unwirksam, als es auch über die "notwendige Quote" dieser Personen verfügt.
Rz. 21
Der Pflichtteil genießt bei der Nachlassauseinandersetzung eine besondere Privilegierung: Er soll dem Berechtigten gem. Art. 1059 ZGB selbst dann zustehen, wenn der Nachlass zur Begleichung der Steuern und Verbindlichkeiten des Erblassers nicht ausreicht. Der Pflichtteilsberechtigte geht den Nachlassgläubigern also vor.
Rz. 22
Das Erbrecht von Makao – geregelt im Código Civil von 1999 – sieht für den Ehegatten, die Abkömmlinge und die Aszendenten ein Pflichtteilsrecht vor, welches sich – je nach Anzahl der Berechtigten – auf ein Drittel oder die Hälfte des Nachlasses beläuft (Art. 1994 ff. C.C.).
Das materielle Erbrecht in Hongkong entspricht weitgehend dem englischen Recht (vgl. Rdn 128 ff.). Einem Pflichtteilsrecht vergleichbare Ansprüche ergeben sich aus der Deceased’s Family Maintenance Ordinance.