Rz. 318
Der Pflichtteil ist Geldforderung. Er kann aber frühestens ein Jahr nach Eintritt des Erbfalls geltend gemacht werden, § 765 Abs. 2 ABGB. Eine Abfindung in Nachlassgegenständen erfordert das Einvernehmen von Erben und Pflichtteilsberechtigtem. Neu eingeführt durch die Erbrechtsreform 2015 ist die Möglichkeit der Pflichtteilsstundung. Diese kann auf testamentarische Anordnung durch den Erblasser erfolgen oder aber auch auf Antrag durch den Erben vom Gericht bewilligt werden. Die Frist für die Stundung kann bis zu fünf Jahre betragen. Der Pflichtteil kann insgesamt gestundet werden oder Ratenzahlung erfolgen, § 766 Abs. 1 ABGB. In Sonderfällen kann die Frist durch das Gericht auf bis zu zehn Jahre verlängert werden, Art. 755 Abs. 3 ABGB. Maßgeblich sind dabei die Situation des Pflichtteilsberechtigten und des pflichtteilsbelasteten Erben. Im Vordergrund steht hier, die Gefährdung eines im Nachlass befindlichen Unternehmens durch die Verpflichtung zur sofortigen Auszahlung des gesamten Pflichtteilsbetrages zu vermeiden.
Rz. 319
Zur Abwicklung von Nachlässen ist in Österreich zwingend ein sog. Einantwortungsverfahren durchzuführen. Im Rahmen der Vorbereitung der Einantwortung prüft der als sog. Gerichtskommissär ernannte Notar auch die Ansprüche der Angehörigen auf Pflichtteile und erstellt einen entsprechenden Pflichtteilsausweis. Im Rahmen dieser Prüfung wird er die Pflichtteilsberechtigten ermitteln und sie fragen, ob sie ihren Pflichtteil geltend machen wollen. Wer auf diese ausdrückliche Aufforderung sich immer noch nicht entschließen kann, wird vom Notar aufgefordert, schriftlich auf die Pflichtteilsansprüche zu verzichten. Nur so kann sich der Gerichtskommissär sicher sein, dass er später nicht auf die Pflichtteile haftet. Da damit quasi eine Umkehrung der Position des Pflichtteilsberechtigten verbunden ist (in Deutschland muss er den Pflichtteil geltend machen, in Österreich wird er ihm angeboten und er muss ihn eindeutig ablehnen), kommt es in Österreich faktisch in sehr viel mehr Fällen zur Pflichtteilszahlung als in anderen Ländern.
Rz. 320
Pflichtteilsansprüche verjähren in drei Jahren. Der Beginn der Frist ist umstritten. Nach wohl überwiegender Ansicht beginnt sie für Nachlasspflichtteile und Schenkungspflichtteile mit der Eröffnung des Testaments zu laufen. Die Verjährung der Ansprüche gegen den Beschenkten wegen Verkürzung des Pflichtteils beginnt bereits mit dem Tod des Erblassers. Die Geltendmachung erfolgt durch Klage gegen die Erben. Die Klage erfolgt im Rahmen der streitigen Gerichtsbarkeit. Ist der Nachlass noch nicht eingeantwortet worden und droht Verjährung, ist Klage gegen den Nachlass zu erheben, der bis zur Einantwortung selbstständige juristische Person (hereditas iacens) ist.
Rz. 321
Für die Unterhaltsansprüche des Ehegatten und der Kinder (siehe Rdn 299) stellt sich die Frage, welchen Rang sie einnehmen. Nach wohl überwiegender, wenn auch umstrittener Ansicht geht der Unterhaltsanspruch den übrigen Nachlassverbindlichkeiten wie auch den Pflichtteilen im Rang nach (siehe Rdn 299). Der Unterhalt lässt also die Pflichtteile unberührt und geht damit auf Kosten der Vermächtnisse und sonstigen Verfügungen. Freilich ist auf den Unterhaltsanspruch des überlebenden Ehegatten ohnehin alles anzurechnen, was dieser von Todes wegen erhält. Ist der Wert des Unterhaltsanspruchs niedriger als sein Pflichtteil, bleibt dessen Bestehen für die Nachlassabwicklung folgenlos.
Rz. 322
Zur Ermittlung und Sicherung seiner Ansprüche kann der Noterbe folgende Maßnahmen verlangen:
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Auskunft über den Nachlass und Vorlage eines Vermögensverzeichnisses, § 786 ABGB; |
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Errichtung eines Hauptinventars (§ 804 ABGB) durch den Notar und die Schätzung des Nachlasses durch Sachverständige (§ 778 ABGB). Bei minderjährigen Noterben ist dies zwingend; |
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Rechnungslegung für die Zeit zwischen Erbfall und tatsächlicher Zuteilung des Pflichtteils; |
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Nachlassabsonderung, welche nach der Einantwortung insbesondere verhindert, dass der Nachlass mit dem u.U. überschuldeten Eigenvermögen des Erben verschmilzt. |