Rz. 29
Wenn in § 254 Abs. 1 BGB die Abwägung davon abhängig gemacht wird, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, so bedeutet dies keine Aufgabe der Äquivalenztheorie, die für sich eine Differenzierung nach dem relativen Gewicht der einzelnen Beiträge nicht zulassen kann, sondern eine Bewertungsgrundlage für einen interessengerechten Schadensausgleich. Bei der Bewertung des mitwirkenden Verschuldens ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, weswegen auch auf die Aufklärung eines Unfalltatbestands regelmäßig nicht mit der Begründung verzichtet werden kann, dass das eigene Verschulden des Verletzten groß genug sei, um ihm auf alle Fälle den ganzen Schaden aufzubürden.
Rz. 30
Wohl aber kann nach Aufklärung des Tatbestands bei weit überwiegendem Verschulden des Verletzten seine Klage in vollem Umfang abgewiesen werden. Denn nach dem Wortlaut von § 254 Abs. 1 BGB hängt nicht nur die Verteilung des Schadens, sondern die Schadensersatzpflicht überhaupt von der Abwägung ab. Eine Verteilung 100:0 ist daher ebenso zulässig wie eine Verteilung nach Bruchteilen, Ersteres aber nur ausnahmsweise nach umfassender Abwägung im Einzelfall. Einem vorsätzlich handelnden Schädiger ist es jedoch in der Regel verwehrt, sich auf ein fahrlässiges mitwirkendes Verhalten des Geschädigten zu berufen. Dieser Grundsatz gilt nicht ausnahmslos. Vielmehr ist stets darauf abzustellen, ob es nach den Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gerechtfertigt ist, dass der Schaden teilweise bei dem nur fahrlässig an der Schadensentstehung mitwirkenden Geschädigten belassen wird. Jedoch kommt bei einer Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB und direktem Schädigungsvorsatz die anspruchsmindernde Berücksichtigung eines fahrlässigen Verhaltens des Geschädigten nicht in Betracht.
a) Gewichtung der Verursachungsbeiträge
Rz. 31
Im Vordergrund steht bei der Abwägung nach der Fassung der Vorschrift die Verursachung durch die Beteiligten. Dabei ist darauf abzustellen, ob bzw. inwiefern das Verhalten des einen oder des anderen Beteiligten den Eintritt in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat. Für die Gewichtung der Verursachungsbeiträge der Parteien ist weder ihre zeitliche Reihenfolge noch der Umstand von Bedeutung, dass der Geschädigte dem verletzten Rechtsgut räumlich näher steht als der Schädiger.
b) Verschulden
Rz. 32
Zu den Umständen, die im Übrigen zu berücksichtigen sind, gehört namentlich auch – sofern nicht ohnehin Voraussetzung für die (beiderseitige Mit-)Haftung für den Schaden (siehe oben) – als "Faktor" das Vorliegen sowie insbesondere die Schwere eines Verschuldens des bzw. der Beteiligten. Insoweit spielen selbstverständlich auch Gesichtspunkte eine Rolle wie ein jugendliches Alter, persönliche Fähigkeiten und Kenntnisse, Handeln aus Gefälligkeit etc.
c) Ergänzende Abwägungskriterien
Rz. 33
Abzulehnen ist demgegenüber die vereinzelt geforderte zusätzliche Berücksichtigung von Aspekten wie der wirtschaftlichen Folgen, des Bestehens von Versicherungsschutz oder verwandtschaftlicher Beziehungen für die Abwägung. Denn das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes vermag das fehlende Verschulden des Beklagten nicht zu ersetzen. Der Versicherungsschutz wirkt grundsätzlich nicht anspruchsbegründend. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass sich die Versicherung nach der Haftung und nicht umgekehrt die Haftung nach der Versicherung richtet. Dies darf nicht verwechselt werden mit der ausnahmsweisen Berücksichtigung derartiger Umstände im Rahmen der "Billigkeitsprüfung" bei der "spiegelbildlichen" Anwendung des § 829 BGB.