Rz. 67
Bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel gilt entsprechend nach einhelliger Rechtsprechung der höchstrichterlich herausgearbeitete "Grundsatz", dass der – jedenfalls nicht erkennbar in schwerer Weise körperbehinderte – Fahrgast in aller Regel "sich selbst überlassen (ist); er kann nicht damit rechnen, dass der Wagenführer sich um ihn kümmert". Ein Fahrgast, der sich nach dem Einstieg in eine Straßenbahn (oder einen Bus) nicht sofort einen festen Halt verschafft, haftet demnach grundsätzlich allein für die ihm hieraus erwachsenen Schäden, wenn er beim Anfahren der Bahn (oder des Busses) stürzt; denn es streitet bereits der Beweis des ersten Anscheins für die Annahme einer Unachtsamkeit des Fahrgasts; es sei denn, besondere Umstände stehen dieser Annahme ausnahmsweise entgegen. Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass der Gesetzgeber – wie nicht zuletzt an § 8a StVG deutlich wird – mit der Reform des Schadensrechts das erklärte Ziel einer Verbesserung des Schutzes von Insassen, namentlich unentgeltlicher Personenbeförderung, verfolgte. Denn um eine unentgeltliche Personenbeförderung handelt es sich bei der hier in Rede stehenden Konstellation regelmäßig nicht. Diese Grundsätze sind der Sache nach nicht nur entsprechend auf den Vorgang des Ein- und Aussteigens des Fahrgasts anzuwenden.
Rz. 68
Vielmehr dürfte sogar ein Erst-Recht-Schluss gerechtfertigt sein. Denn der Einstiegsvorgang entzieht sich weitergehend als der Fahrvorgang den Einflussmöglichkeiten des Fahrzeugführers (wie damit auch des Unternehmers). Darüber hinaus liegen gerade für den sich relativ zum Fahrzeug bewegenden Fahrgast als "Herrn bzw. Frau des Geschehens" die von seiner/ihrer individuellen Bewegung ausgehenden Gefahren umso deutlicher auf der Hand und nur für ihn/sie sind diese Risiken letztlich auch beherrschbar. Der Aussteigende hat zudem die strengen Sorgfaltspflichten des § 14 StVO zu beachten. Demgemäß ist jedenfalls eine Besserstellung des ein- bzw. aussteigenden Fahrgasts gegenüber dem Fahrbetrieb nicht gerechtfertigt, auch wenn insoweit entsprechende Verhaltensmaßregeln in den Beförderungsbedingungen (noch) fehlen mögen. Davon abgesehen kann ein (erwachsener) Fahrgast im Einzelfall auch etwa dann unter dem Gesichtspunkt der schuldhaften Selbstgefährdung alleine für seine eigenen Verletzungen verantwortlich sein, wenn er beim Einsteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel dadurch zu Fall kommt, dass er von nachdrängenden alkoholisierten Jugendlichen geschubst wird, die der Fahrgast bereits einige Zeit an der Haltestelle beobachtet und – ob ihrer starken Alkoholisierung – selbst als bedrohlich bzw. sogar als "außer Kontrolle" wahrgenommen, sich nichtsdestotrotz selbst zum Einstieg in das Verkehrsmittel vor diesen "Pulk" an Wartenden in die "pole-position" begeben hat.