Rz. 40

Die gesteigerte Erwerbsobliegenheit besteht nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB nicht, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist.

Grundsätzlich ist der barunterhaltspflichtige Elternteil seinen minderjährigen unverheirateten oder diesen gleichgestellten volljährigen Kindern gesteigert leistungsverpflichtet. § 1603 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB. Er muss demnach alle verfügbaren Mittel für seinen und den Unterhalt der Kinder gleichmäßig einsetzen mit der Folge, dass er nur den notwendigen Selbstbehalt für sich in Anspruch nehmen kann.

 

Rz. 41

Eine Ausnahme von der gesteigerten Erwerbsobliegenheit besteht nur dann, wenn die Ausfallhaftung nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB eintritt. Ein "anderer unterhaltspflichtiger Verwandter" in diesem Sinne kann auch der betreuende Elternteil sein, wenn der an sich barunterhaltspflichtige Elternteil bei Unterhaltsgewährung seinen angemessenen Selbstbehalt nicht mehr decken kann, dies dem betreuenden Elternteil aber möglich ist.[56]

Der barunterhaltspflichtige Elternteil muss dann den Kindesunterhalt bis Erreichen seines angemessenen Selbstbehalts decken. Im Übrigen ist der betreuende Elternteil bis zu seinem angemessenen Selbstbehalt heranzuziehen.

Bleibt dem barunterhaltspflichtigen Elternteil sein angemessener Selbstbehalt nach Abzug des geschuldeten Kindesunterhalts erhalten, wird eine Haftung des betreuenden Elternteils nur selten in Betracht kommen.

 

Rz. 42

Um die Regel der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt nicht ins Leere laufen zu lassen, setzt die anteilige oder vollständige Haftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt des minderjährigen Kindes voraus, dass ohne die Beteiligung des betreuenden Elternteils am Barunterhalt ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstehen würde.

 

Rz. 43

BGH, Beschl. v. 10.7.2013 – XII ZB 297/12, Rn 27[57]

Zitat

Nach diesen Maßstäben kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils entfallen oder sich ermäßigen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre. Kann der barunterhaltspflichtige Elternteil demgegenüber – wie es hier der Fall sein dürfte – auch bei Zahlung des vollen Kindesunterhalts seinen angemessenen Selbstbehalt noch verteidigen, wird eine vollständige oder anteilige Haftung des betreuenden Elternteils für die Aufbringung des Barunterhalts nur in wenigen, besonderen Ausnahmefällen, in Betracht kommen (Senatsurteil v. 20.3.2002 – XII ZR 216/00 – FamRZ 2002, 742).“

Wann ein Ausnahmefall vorliegt ist nach der genannten Entscheidung des BGH im Rahmen einer umfassenden Billigkeitsabwägung zu entscheiden in die auf Seiten des Pflichtigen einbezogen werden kann, inwieweit sein eigener Unterhalt in einer neuen Lebensgemeinschaft gesichert ist und auf Seiten des betreuenden Elternteils, wie stark er durch die Erwerbstätigkeit neben der Kinderbetreuung belastet ist.

BGH, Beschl. v. 10.7.2013 – XII ZB 297/12, Rn 28[58]

Zitat

Demgegenüber wird es aufseiten des betreuenden Elternteils vor allem darauf ankommen, inwieweit dieser aufgrund der individuellen Verhältnisse durch die Übernahme der Kindesbetreuung neben der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit belastet wird; im Rahmen der Gesamtbetrachtung kann daneben aber auch die Belastung des betreuenden Elternteils mit anderen – gegebenenfalls auch nachrangigen – Unterhaltspflichten von Bedeutung sein. Daneben ist zugunsten eines wirtschaftlich besser gestellten betreuenden Elternteils zu bedenken, dass das minderjährige Kind faktisch auch dessen gehobene Lebensverhältnisse teilt; ein dadurch erzeugter zusätzlicher Barbedarf des Kindes muss von vornherein allein durch den betreuenden Elternteil befriedigt werden (vgl. Gutdeutsch, FamRZ 2006, 1724, 1727).

 

Rz. 44

Erforderlich ist, dass der Betreuende ein deutlich höheres Einkommen als der Pflichtige hat.[59]

Wenn der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt, nähert sich die Einkommensdifferenz einer Grenze, an der es unter gewöhnlichen Umständen der Billigkeit entsprechen kann, den betreuenden Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringen zu lassen.[60]

[56] BGH FamRZ 2013, 1558 Rn 26; OLG Koblenz NZFam 2017, 573.
[57] BGH FamRZ 2013, 1558.
[58] BGH FamRZ 2013, 1558.
[59] BGH FamRZ 1998, 286 (288); BGH FamRZ 2008, 137; BGH FamRZ 2011, 1041; BGH FamRZ 2013, 1558; OLG Braunschweig FamRZ 2007, 2004; OLG Karlsruhe FamRZ 2003, 1672; OLG Hamm FamRZ 2006, 1628 (1629);
[60] BGH FamRZ 2013, 1558 Rn 29; vgl. auch OLG Koblenz NZFam 2017, 573; OLG Dresden FamRZ 2016, 1172; OLG Naumburg FamRZ 2013, 796.

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