Rz. 253
Nach § 1577 Abs. 1 BGB kann der geschiedene Ehegatte Unterhalt nicht verlangen, solange und soweit er sich aus seinen Einkünften und seinem Vermögen selbst unterhalten kann. Insoweit ist er nicht bedürftig.
Zur Deckung des Bedarfs nach § 1577 BGB kommen tatsächliche oder fiktive Einkünfte bzw. Vorteile ebenso in Betracht wie reale oder fiktive Vermögenserträge.
a) Tatsächliche Einkünfte
Rz. 254
Nach § 1577 Abs. 1 BGB wird das Einkommen aus zumutbarer Erwerbstätigkeit stets berücksichtigt. Hierzu zählt insb. das Erwerbseinkommen in Gestalt des bereinigten Nettoeinkommens (also der Bruttoeinkünfte abzgl. Steuern und Sozialversicherungsabgaben) inklusive aller Zulagen, Prämien, Urlaubs- oder Weihnachtsgelder. Zum realen Einkommen zählen aber auch Renten und Pensionen oder Sozialleistungen mit Lohnersatzfunktion wie z.B. das Arbeitslosengeld I oder Krankengeld.
Sozialhilfe bzw. ALG II nach § 20 Abs. 2 SGB II sind hingegen subsidiäre Leistungen mit Unterhaltsersatzfunktion, die nicht auf den Unterhalt anrechenbar sind.
Rz. 255
§ 1577 Abs. 2 BGB bestimmt, wie eine überobligatorische Tätigkeit i.R.d. Bedürftigkeit berücksichtigt wird. Es ist zwischen der Nichtanrechnung und der Anrechnung nach Billigkeitsgesichtspunkten zu unterscheiden. Zahlt der Verpflichtete nicht den vollen Unterhalt, so bleibt auch für den Berechtigten ein Teil dieser Einkünfte anrechnungsfrei. Der unterhaltsrelevante Teil der aus einer überobligatorischen Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte hingegen wird für die Bedarfsfeststellung als eheprägend berücksichtigt; das darüber hinausgehende Einkommen bleibt unberücksichtigt. Die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang Einkommen aus einer überobligatorischen Tätigkeit des Unterhaltsberechtigten bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen ist, bedarf einer Betrachtung im Einzelfall unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nach § 242 BGB.
Rz. 256
Eine Erwerbstätigkeit ist unzumutbar, wenn den Unterhaltsberechtigten keine Erwerbsobliegenheit trifft, dieser aber dennoch Einkommen aus – überobligatorischer – Erwerbstätigkeit erzielt.
Rz. 257
Durch die Änderung der Rspr. des BGH im Hinblick auf die Aufnahme oder Intensivierung einer Erwerbstätigkeit nach der Ehe hat sich die rechtliche Qualifizierung eines solchen Einkommens gewandelt. Die Rspr. bezeichnet dies verschiedentlich als Surrogatseinkommen, das an die Stelle der vorher prägenden Familienarbeit getreten und ebenfalls als eheprägend anzusehen ist. Dieses prägende Einkommen fließt dann unter Anwendung der Differenzmethode in die Unterhaltsberechnung ein. Übersteigen die unzumutbar erzielten Einkünfte den nach § 1577 Abs. 2 Satz 1 BGB anrechnungsfreien Betrag, sind sie aufgrund einer Billigkeitsabwägung unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der geschiedenen Ehegatten anzurechnen.
Rz. 258
Ausgeweitet wurde die Surrogatslösung für Renteneinkünfte. Anrechte sind auch dann eheprägend, wenn sie auf dem mit der Scheidung durchgeführten Versorgungsausgleich beruhen oder nachehelich erworben wurden. Ferner wird die Surrogatslösung auch übertragen auf den Verkaufserlös einer bisher als Ehewohnung genutzten Immobilie, so dass Zinsen aus dem Verkaufserlös oder ein erneuter Wohnvorteil bei Ersatzanschaffung prägendes Einkommen darstellen. Gleiches gilt für die vom anderen Ehegatten gezahlte Nutzungsvergütung. Der BGH zieht den früheren Vermögensgegenstand nicht nur mit seinem Nutzwert, sondern mit seinem Anlagewert für Unterhaltszwecke heran.
Rz. 259
Sofern der geschiedene Ehegatte in einer neuen Partnerschaft einen Dritten versorgt, sind auch solche Leistungen nicht nur i.R.d. Bedürftigkeit, sondern bereits bei der Bedarfsberechnung als Surrogat der bisherigen Familienarbeit als Einkünfte anzusehen. I.R.d. Bedürftigkeit wird für die Haushaltsführung und Versorgungsleistung grds. ein Entgelt als Einkommen angesetzt, allerdings ein vom Erwerbseinkommen zu unterscheidendes Einkommen, für das die Zumutbarkeit nicht in gleichem Umfange zu prüfen ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der neue Partner tatsächlich leistungsfähig ist. Allerdings wird der Ansatz eines Einkommens für die Versorgung des neuen Partners mitunter angezweifelt, wenn der Ehegatte, der den neuen Partner versorgt, zudem noch eine Erwerbstätigkeit in Vollzeit ausübt, die bereits als Surrogat der Familienarbeit anzusehen ist, oder wenn ihn gar keine Erwerbsobliegenheit trifft.
Freiwillige Zuwendungen Dritter sollen i.d.R. nur dem Zuwendungsempfänger zugutekommen und nicht den Unterhaltspflichtigen entlasten. Sie können daher – außer in Mangelfällen – grds. nicht angerechnet werden.