Rz. 178
Zunächst sind die vorhandenen Möglichkeiten der Kindesbetreuung individuell auszuloten. Da der kindesbetreuende Elternteil für die Begründung einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über einen Zeitraum von drei Jahren hinaus beweispflichtig ist, muss er im Unterhaltsprozess vortragen und nachweisen, dass eine solche Möglichkeit der Kindesbetreuung nicht besteht oder mit dem Kindeswohl nicht im Einklang steht. Nachdem der BGH sein Altersphasenmodell aufgegeben hat, ist die Möglichkeit des kindesbetreuenden Elternteils, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ab Beginn des vierten Lebensjahres des Kindes in jedem Einzelfall zu prüfen.
Rz. 179
Von einer Möglichkeit der Fremdbetreuung ist auszugehen, wenn die Fremdbetreuung tatsächlich existiert, zumutbar und verlässlich ist und mit dem Kindeswohl in Einklang steht.
Rz. 180
Bei Statuierung einer Erwerbsobliegenheit muss jedoch die Möglichkeit der Fremdbetreuung auch in den Ferienzeiten und bei Krankheit bestehen und Gewähr für Stetigkeit und einen festen zeitlichen Rahmen bieten, um verlässlich zu sein. Fremdbetreuungsangebote können sich – u.U. z.B. mit dem Wechsel in die Grundschule – auch wieder verschlechtern.
Rz. 181
Nach der Rspr. sind alle Arten der Kindesbetreuung in öffentlichen Kindergärten, Kinderhorten, Kindertagesstätten und bei Tageseltern als zumutbare Fremdbetreuung anzusehen. Das gilt auch für Ganztagsschulen.
Rz. 182
I.R.d. Zumutbarkeit ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob auch das Angebot des geschiedenen Ehegatten, die "Fremdbetreuung" zu übernehmen oder durch seine Verwandten übernehmen zu lassen, zu berücksichtigen ist. Eine Betreuungsmöglichkeit durch den Unterhaltsverpflichteten ist nach Ansicht des BGH grds. in Betracht zu ziehen, soweit dessen Angebot ernsthaft und verlässlich ist und dem Kindeswohl nicht widerspricht.
Rz. 183
Umstritten ist ferner, ob Angehörige, insb. betagtere Großeltern, oder Bekannte als Fremdbetreuungsmöglichkeit zu werten sind, deren Inanspruchnahme dem Unterhaltsberechtigten obliegt. Diese Frage bedarf ebenfalls einer Betrachtung im Einzelfall. Deren Leistung kann zumeist mit einer freiwilligen Zuwendung verglichen werden, die dem Unterhaltspflichtigen nicht zugutekommt.
Schließlich muss im Einzelfall geprüft werden, ob das Kind z.B. am Nachmittag allein bleiben kann. So kann nach Auffassung des BGH etwa nicht als Erfahrungssatz angenommen werden, dass ein zwölfjähriger Junge am Nachmittag bei den Hausaufgaben ohne jede Betreuung bleiben kann. Da sich solche Erfahrungssätze jedoch nicht verallgemeinern lassen und es einer Betrachtung im Einzelfall bedarf, besteht insofern eine hohe Rechtsunsicherheit.
Rz. 184
I.R.d. Zumutbarkeit ist zu prüfen, ob es dem betreuenden Elternteil zugemutet werden kann, eine weiter entfernte Kindesbetreuungsmöglichkeit in Anspruch zu nehmen oder gar umzuziehen, um eine Möglichkeit der Fremdbetreuung zu finden. Eine solche Obliegenheit zu einem Ortswechsel wird von der wohl h.M. mit Blick auf ähnliche Obliegenheiten des Erwerbslosen bejaht, wenn dies mit dem Kindeswohl vereinbar und am Ort der Fremdbetreuung eine zumutbare Erwerbstätigkeit möglich ist.
Rz. 185
Insb. bei sog. "Problemkindern" dürfte jedoch eine Fremdbetreuung so früh nicht zumutbar sein. Allerdings ist die sog. "Mimosen-Einrede", das Kind sei allgemein auffällig, schwierig und brauche ständige Hausaufgabenhilfe, nicht ausreichend. Die üblichen scheidungsbedingten Probleme dürfen nicht bereits zur Unzumutbarkeit der Fremdbetreuung führen, zumal die Trennung zu dem Zeitpunkt bereits länger als ein Jahr zurückliegt. Als Belange des Kindes sind nur in der Person des Kindes liegende konkret festzustellende Gründe zu berücksichtigen, die eine weitere persönliche Betreuung durch einen Elternteil erfordern (z.B. physische oder psychische Krankheit, schulische Entwicklungsstörung, Behinderung). Auch die Förderung musischer oder sportlicher Freizeitaktivitäten kann u.U. die persönliche Betreuung rechtfertigen; nicht entscheidend sind finanzielle Belange des Kindes. Angesichts der erforderlichen Einzelfallbetrachtung ist die Rspr. zwangsläufig uneinheitlich.