Rz. 199
Unterhalt wird nach § 1573 Abs. 1 BGB gewährt, wenn der Berechtigte keine angemessene, d.h. den Kriterien des § 1574 Abs. 2 BGB entsprechende Tätigkeit finden kann, obwohl er sich ernsthaft um eine solche bemüht.
Rz. 200
Nach der Reform des Unterhaltsrechts hat § 1574 Abs. 1 BGB die Anforderungen an die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erhöht, indem diese Regelung nunmehr die Obliegenheit des geschiedenen Ehegatten zur Ausübung einer solchen Tätigkeit vorsieht.
Rz. 201
Kriterien der Angemessenheit der Erwerbstätigkeit nach § 1574 Abs. 2 BGB sind folgende:
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Ausbildung: entscheidend ist das durch die Ausbildung geprägte Ausbildungsniveau, das nicht wesentlich unterschritten werden darf; |
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Fähigkeiten: geistige oder körperliche Fähigkeiten und Kenntnisse, die mangels besonderer Ausbildung die berufliche Qualifikation des Bedürftigen ausmachen; |
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frühere Erwerbstätigkeit: die Ausübung einer früheren Erwerbstätigkeit ist regelmäßig als angemessen anzusehen; |
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Lebensalter: aufgrund des Alters kann eine Erwerbstätigkeit unzumutbar sein. Da es keine feste Grenze für das Alter gibt, bedarf es einer Betrachtung im Einzelfall; |
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Gesundheitszustand: bezüglich des Gesundheitszustands ist maßgeblich, ob die konkret in Betracht kommende Tätigkeit gesundheitlich bewältigt werden kann; |
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Zudem sind die ehelichen Lebensverhältnisse nicht mehr gleichrangig mit den sonstigen Angemessenheitskriterien aufgeführt, sondern in § 1574 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BGB als Einwendung i.R. einer Billigkeitsabwägung auf zweiter Stufe aufgeführt, so dass der Unterhaltsberechtigte darlegen und ggf. beweisen muss, dass eine angemessene Erwerbstätigkeit für ihn aufgrund der ehelichen Lebensverhältnisse unzumutbar ist. |
Damit ist gesetzlich klargestellt, dass es eine Lebensstandsgarantie nicht mehr gibt. Zu diesem Schluss war die Rspr. des BGH bereits zuvor für die Fälle eines vorehelichen Qualifikationsdefizites gekommen. Auch bei längerer Ehe und gehobenen wirtschaftlichen Verhältnissen kann daher eine Rückkehr in den früher ausgeübten Beruf angemessen sein. Selbst eine Unbilligkeit der Erwerbstätigkeit muss nach der Gesetzesbegründung nicht zu einem Aufstockungsunterhalt führen.
Hinweis
Es empfiehlt sich, bei der Ehevertragsgestaltung ein solches voreheliches Qualifikationsgefälle festzuhalten. Hierfür ist die Vertragspräambel der richtige Ort, die somit nicht nur Bedeutung für die Inhaltskontrolle, sondern auch für die Ermittlung der Unterhaltsansprüche hat.
Rz. 202
Hat der Berechtigte eine Erwerbstätigkeit erlangt, durch die er seinen Unterhalt – nach objektiv vorausschauender Prognose – nachhaltig sichern kann, so lebt der Unterhaltsanspruch auch dann nicht wieder auf, wenn diese Erwerbsmöglichkeit später wegfällt.