A. Auslesen von Daten aus Kraftfahrzeugen zur Unfallrekonstruktion

 

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Bei der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen ist die Sicherung und Auswertung der von den unfallbeteiligten Fahrzeugen erzeugten Spuren ein zentrales Element, wird jedoch aufgrund der immer weiteren Verbreitung von fahrdynamisch wirksamen Systemen immer schwieriger. Daraus folgt der Bedarf der Erschließung alternativer Informationsquellen, welche Rückschlüsse auf das vorkollisionäre Bewegungsverhalten eines Fahrzeugs ermöglichen. Die in immer größerem Umfang in Kraftfahrzeugen enthaltenen elektronischen Systeme bieten hierfür großes Potential. Dabei sind die nachfolgenden benannten Möglichkeiten des Auslesens von besonderer Bedeutung.

I. Gespeicherte Daten im Fahrzeug

 

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Insoweit ist zu berücksichtigen, dass in modernen Fahrzeugen bereits eine Vielzahl an Daten anfällt und gespeichert wird, welche für die Unfallrekonstruktion von besonderer Bedeutung sein können.[1] Diese lassen sich dabei wie folgt aufteilen:

Daten zur Erkennung von Anstößen und ggf. Auslösung von Rückhaltesystemen (z.B. Airbags, Gurtstraffer, u.a.)
Daten zur Auslösung von Fußgängerschutzsystemen
Daten zum Eingreifen von Assistenzsystemen (z.B. ABS, ESP, Bremsassistenzsysteme, sowie Systemen zur teil- oder ggf. zukünftig vollautonomen Fahrzeugführung)
Daten zur Geschwindigkeit des Fahrzeugs vor der Kollision und zur kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung
Daten zum Lenk- und Bremsverhalten des Fahrers und/oder aktiver Assistenzsysteme vor, während und nach der Kollision
Daten aus EDR-(Event Data Recorder)Systemen im Airbagsteuergerät oder ähnlichen/verwandten Steuergeräten des Fahrzeugs
Begleitdaten bei dem Ausfall bestimmter Fahrzeugkomponenten, wie z.B. die Geschwindigkeit
GPS Daten, insbesondere aus Navigationssystemen
 

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Hintergrund der so in den Pkw hinterlegten Daten ist i.d.R. die Dokumentation von Ausfällen oder des Auftretens von unplausiblen Zuständen (wichtiger) Fahrzeugsysteme, sowie der Umgebungsbedingungen zum Zeitpunkt des Auftretens/Ausfalls. Die Daten werden je nach Bedeutung für kurze oder längere Zeit in einem oder mehreren Steuergeräten hinterlegt. Insbesondere beim Auslösen von Airbags, anderen Rückhalte- oder Fußgängerschutzsystemen wird i.d.R. eine größere Datenmenge gespeichert, bis diese gelöscht bzw. überschrieben wird. Zumindest temporär werden dabei augenscheinlich bestimmte Begleitdaten bei der Überprüfung einzelner Systeme gespeichert, zu denen insbesondere die gefahrene (angezeigte) Geschwindigkeit, aber auch weitere Informationen gehören. Zu denken ist dabei insbesondere an folgende Daten:

Angaben zu dem Status von Bedienelementen in Form des Gas- und Bremspedals, Leuchteinheiten und der Gangstufe
Angaben zum Status der Rückhaltesysteme einschließlich Belegung und Sitzposition der Insassen
Angaben zum Lenkwinkel, Raddrehzahlen sowie der Drehzahl des Motors und der Beschleunigung bzw. Verzögerung des Fahrzeugs

Hintergrund dieser umfassenden Speicherung ist, dass moderne Fahrzeuge über eine umfangreiche Ausstattung an Assistenzsystemen verfügen, welche maßgebliche Daten zum eigenen Fahrzeug wie Geschwindigkeit, Lenkeinschlag oder Motorleistung erfassen.

 

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Derzeit können diese Daten aus den Speichergeräten in vielen Fällen nur mithilfe des Herstellers ausgelesen werden, wobei auch die Vertragswerkstätten vor Ort wie auch bei ihnen tätige Sachverständige in vielen Fällen auf Unterstützung aus einer zentralen Abteilung des Herstellers angewiesen sind. Eine Ausnahme stellen Fahrzeuge dar, die den Zugriff auf die Daten in Airbag Steuergeräten über das sog. CDR-Tool der Firma Bosch ermöglichen, was eine validierte Datenzugriffsmöglichkeit über eine offiziell definierte Schnittstelle darstellt. Das zentrale Problem in allen anderen Fällen stellt die häufig vom Hersteller vorgenommene Verschlüsselung der Daten da, aufgrund derer diese ohne seine Mithilfe nicht ausgewertet werden können. Teilweise wird diese Verschlüsselung auch bei den im EDR gespeicherten Daten vorgenommen.

[1] Vgl. den Überblick bei Nugel, ZD 2019, 341; Klimke, r+s 2015, 217; Mielchen, SVR 2014, 81; Roßnagel, SVR 2014, 281; Brenner, DAR 2014, 619; Balzer/Nugel, NJW 2016, 196 ff.; Brockmann/Nugel, zfs 2016, 64 ff.

II. Unfalldatenschreiber

 

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Neben diesen in Fahrzeugen vorhandenen Möglichkeiten der Datenaufzeichnung besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass diese zusätzlich mit einem sog. Unfalldatenschreiber ausgestattet sind. Dies ist z.B. häufig bei Einsatzfahrzeugen von Polizei oder Rettungskräften, aber auch Firmen- oder Mietwagenflotten der Fall. Die gespeicherten Daten sollen der Unfallrekonstruktion dienen und werden daher i.d.R. dauerhaft nur im zeitlichen Zusammenhang mit einem Unfallereignis aufgezeichnet. Erfasst werden insbesondere

Geschwindigkeit
Beschleunigung
Bewegungsrichtung
Aufleuchten von Signaleinrichtungen
Bremstätigkeit des Fahrers

Auslöser sind i.d.R. ein Anstoß an das Fahrzeug bzw. ggf. schon eine starke Bremsung oder auch eine manuelle Auslösung. Aufgrund der hohen Anforderungen an die Datenerfassung sind diese Messwerte i.d.R. sehr...

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