Rz. 27
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, § 3 Abs. 1 AGG. Eine Benachteiligung ist eine wegen eines in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmales ungünstige Behandlung, die eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt. Eine ungünstige Behandlung liegt bereits dann vor, wenn ein Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, denn hierdurch wird ihm die Chance auf eine Einstellung von vornherein verwehrt (BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 536/08, NZA 2009, 1016). Wichtig ist dabei, dass das diskriminierende Motiv unmittelbaren, direkten Einfluss auf die Benachteiligung hat.
Rz. 28
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach Rspr. des EuGH auch dann vor, wenn ein nicht behinderter Arbeitnehmer, der ein behindertes Kind zu versorgen hat, benachteiligt wird, denn das Verbot der unmittelbaren Benachteiligung in Bezug auf das Diskriminierungsmerkmal der Behinderung ist nicht nur auf die Person beschränkt, die selbst behindert ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Richtlinie nicht nur die unmittelbare Benachteiligung eines behinderten Menschen verbiete, sondern zum Ziel hat, dass jede Form der Benachteiligung verhindert werden soll. Das bedeutet, dass sie nicht nur für eine bestimmte Gruppe von Personen gilt, sondern stets anwendbar ist, wenn es um die Natur der Benachteiligung geht. Ansonsten würde das Ziel der RL nicht effektiv erreicht (EuGH v. 17.7.2008 – C-303/06 – Coleman). Eine Ungleichbehandlung aufgrund einer drittbezogenen Benachteiligung soll sich auf alle Diskriminierungsmerkmale erstrecken. So könnte ein Arbeitnehmer darauf verweisen, dass er wegen der ethnischen Herkunft seiner Ehefrau oder der Homosexualität seines Sohnes benachteiligt wird. Der Kreis der geschützten Dritten ist nicht näher definiert. Es wird aber voraussichtlich jede enge Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Dritten ausreichen. Eine solche besteht nicht nur zu Kindern, sondern auch zu Ehegatten, Lebenspartnern, Geschwistern oder Elternteilen. Hingegen wird bei Großeltern oder Cousins eine solche Beziehung i.d.R. zu verneinen sein (Bayreuther, NZA 2008, 986, 987).
Rz. 29
Einer verbotenen Benachteiligung steht nicht entgegen, dass der Benachteiligende aus einem Motivbündel, d.h. auch aus einem nicht diskriminierenden Grund gehandelt hat, solange der diskriminierende Grund nach § 1 AGG jedenfalls ggü. den anderen Motiven nicht unbedeutend ist (BAG v. 5.2.2004 – 8 AZR 112/03; ArbG Stuttgart v. 5.9.2007 – 29 Ca 2793/07).
Rz. 30
Das Vorliegen einer Ungleichbehandlung kann nur anhand eines Vergleiches festgestellt werden. Für den Vergleich muss eine Person herangezogen werden, die das Diskriminierungsmerkmal nicht erfüllt. Die tatsächliche Behandlung des Betroffenen muss mit der Behandlung der anderen Person, die sich in einer entsprechenden Lage wie der Betroffene befindet, verglichen werden. Die Vergleichslage erfordert, dass der Bewerber objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet ist. Für die objektive Eignung ist dabei nicht das formelle Anforderungsprofil entscheidend, welches der Arbeitgeber entwickelt hat, sondern vielmehr die Anforderungen, die an die jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsauffassung gestellt werden. Der Arbeitgeber hat das Recht über den der Stelle zugeordneten Aufgabenbereich frei zu entscheiden (BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 466/09). Nicht erforderlich ist jedoch, dass der Benachteiligte tatsächlich schlechter behandelt wird als eine real existierende dritte Person. Fehlt eine Vergleichsperson, die tatsächlich eine günstigere Behandlung erfahren hat, ist eine hypothetische Vergleichsperson heranzuziehen (Annuß, BB 2006, 1629, 1631; Rupp, RdA 2009, 307). Die gegenwärtige Ungleichbehandlung hat in der Prüfung Vorrang vor der in der Vergangenheit liegenden Ungleichbehandlung, und erst wenn es keine gegenwärtige oder in der Vergangenheit liegende Vergleichsperson gibt, darf die Ungleichbehandlung anhand einer hypothetischen Vergleichsperson geprüft werden (Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, 887, 892).
Rz. 31
Die unmittelbare Benachteiligung kann entweder noch andauern oder bereits abgeschlossen sein. Sie setzt grds. voraus, dass die Bewerbung des Bewerbers bereits im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung vorlag. Geht eine Bewerbung um eine Stelle erst nach deren Besetzung ein, so kommt eine Benachteiligung gem. § 3 Abs. 1 AGG grds. nicht in Betracht (BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 370/09; LAG Köln v. 1.10.2010 – 3 Sa 1057/10). Die bloße Gefahr einer Benachteiligung genügt nicht. Lediglich für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB reicht die hinreichend konkrete Gefahr einer Benachteiligung aus. Für eine Sanktionierung ist eine tatsächliche Benachteiligung erforderlich (Nicolai, AGG, § 1 Rn 58). Es soll nicht eine hypothetische Handlung sanktioniert werden, ...