Rz. 56
Gem. § 10 S. 1 AGG kann eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig sein, wenn diese objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Dabei müssen gem. § 10 S. 2 AGG die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sein. Ein legitimes Ziel muss rechtmäßig sein (LAG Berlin-Brandenburg v. 19.9.2007 – 15 Sa 1144/07; Bissels/Lützeler, BB 2008, 666, 668). Die Legitimität eines Ziels kann unter der Berücksichtigung der fachlich-beruflichen Zusammenhänge aus der Sicht des Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien beurteilt werden (BT-Drucks 16/1780, 36). Das schließt nicht die Ziele von allgemeinem Interesse, wie z.B. Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung aus. Eine individuelle Zwecksetzung reicht nicht aus (ArbG Osnabrück v. 5.2.2007 – 3 Ca 724/06). Vielmehr bedarf es einer objektiven Betrachtung, die dem Gewicht des Verbots einer Benachteiligung gerecht wird (Annuß, BB 2006, 1629, 1633).
Rz. 57
Beispiel
Der EuGH hat – auf Vorlage des BAG – entschieden, dass ein aus einem Tarifvertrag der Lufthansa folgendes Verbot für Verkehrspiloten nach Vollendung des 60. Lebensjahres ihrer Tätigkeit nachzugehen, eine Diskriminierung wegen des Alters darstellt. Zwar könne das Recht, der Ausübung des Berufs des Verkehrspiloten ab dem 60. Lebensjahr nachzugehen etwa in der Form beschränkt werden, als dass ein Pilot im Alter von 60–64 Jahren nur dann seine Tätigkeit ausüben könne, wenn er zu einer Besatzung aus mehreren Piloten angehöre und diese anderen Piloten das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Eine vollständige Untersagung gehe jedoch über das zum Schutz der Flugsicherheit Erforderliche hinaus. Eine unverhältnismäßige Anforderung an die Piloten sei auch deshalb gegeben, weil die internationalen und deutschen Regelungen eine Altersgrenze von 65 Jahren festgesetzt hätten (EuGH v. 13.9.2011 – C 447/09).
Daraufhin hat das BAG mit Urt. v. 18.1.2012 entschieden, dass eine in einem Tarifvertrag enthaltene Altersgrenze, die festlegt, dass das Arbeitsverhältnis von Flugzeugführern mit dem Ende des Monats der Vollendung des 60. Lebensjahres endet, gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters in § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG verstößt. Die tarifliche Altersgrenze sei nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr erreicht hätten, würden eine weniger günstige Behandlung i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG als vergleichbare jüngere Arbeitnehmer erfahren. Diese unmittelbare Ungleichbehandlung sei weder nach § 8 Abs. 1 AGG noch nach § 10 S. 1 und 2 AGG gerechtfertigt. Das Ziel der Flugsicherheit stelle kein legitimes Ziel i.S.v. § 10 S. 1 AGG dar (BAG v. 18.1.2012 – 7 AZR 112/08, n.v.).
Die Gleichbehandlungsrichtlinie steht dem Hessischen Beamtengesetz, das die zwangsweise Versetzung von Beamten auf Lebenszeit in den Ruhestand mit Vollendung des 65. Lebensjahres vorsieht, wobei diese höchstens bis zum vollendeten 68. Lebensjahr weiterarbeiten dürfen, soweit dies im dienstlichen Interesse liegt, nicht entgegen, sofern dieses Gesetz intendiert eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen, um die Einstellung und Beförderung von jüngeren Berufsangehörigen zu erleichtern, die Personalplanung zu verbessern und damit Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeiten des Beschäftigten, seine Tätigkeit über ein bestimmtes Alter hinaus auszuüben, vorzubeugen, und es die Erreichung dieses Ziels mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ermöglicht (EuGH v. 21.7.2011 – C-159/10).
Rz. 58
Hingegen kann sich kein Rechtfertigungsgrund für die Bildung von Altersgruppen daraus ergeben, dass für ältere Arbeitnehmer erhöhte Kosten auftreten. Grds. ist davon auszugehen, dass besonders geschützte Arbeitnehmer nicht deshalb schlechter behandelt werden dürfen, weil ihr Schutz zu höheren Kosten für den Arbeitgeber führt. Ein zunehmendes Alter führt auch zu keiner verminderten Leistungsfähigkeit. Eine physisch verminderte Leistungsfähigkeit kann ausgeglichen werden durch Erfahrungswissen, Routine und ähnliche weitere Fähigkeiten älterer Arbeitnehmer. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Altersgruppenbildung den durch § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG bewirkten Vorrang älterer Arbeitnehmer neutralisiert und die Berücksichtigung des Alters bei der Auswahl der Arbeitnehmer teilweise beseitigt, sodass an die Anforderungen der Rechtfertigungsgründe keine erhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen (LAG Nds. v. 13.7.2007 – 16 Sa 274/07).
Rz. 59
§ 10 S. 3 Nr. 1–6 AGG enthält keine abschließende Aufzählung von Beispielen für zulässige Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters. Diese stellen lediglich – wie das Wort "insbesondere" deutlich macht – die Generalklausel konkretisierende Beispiele dar (BAG v. 6.4.2011, a.a.O.).
Rz. 60
Nach Nr. 1 ist eine Ungleichbehandlung wegen des Alters, die die berufliche Eingliederung von jugendlichen und älteren Beschäftigten und von Personen mit Fürsorgepflichten schützt und fördert, zulässig. Im Rahmen dieser Ziele ist es erlaubt, besondere Bedingungen...