Rz. 97

Den Arbeitgeber trifft eine Pflicht zur Entschädigung, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig Kollektivvereinbarungen anwendet, die gegen das AGG verstoßen. Kollektivvereinbarungen sind Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Sozialpläne und Dienstvereinbarungen (Thüsing, Rn 552). § 15 Abs. 3 AGG bezieht sich nur auf den Ersatz eines immateriellen Schadens, es liegt im Vergleich zu § 15 Abs. 2 AGG ein Haftungsprivileg des Arbeitgebers vor, da er nur für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit haften muss. Vorsätzlich handelt der Arbeitgeber, wenn er weiß, dass durch die Anwendung einer kollektivrechtlichen Regelung eine Person oder Gruppe wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes unmittelbar oder mittelbar benachteiligt wird. Dies ist insb. dann der Fall, wenn bereits gerichtlich festgestellt wurde, dass eine Regelung unwirksam ist und der Arbeitgeber dies weiß. Doch wird sich der Arbeitgeber meist in der Situation befinden, dass dies noch nicht festgestellt wurde. Grob fahrlässig handelt der Arbeitgeber, wenn sich die Tatsache einer Benachteiligung bei Anwendung der Vereinbarung hätte aufdrängen müssen und er dies bei der Umsetzung der Vereinbarung grob sorgfaltswidrig außer Acht gelassen hat. Wann dem Arbeitgeber ein grober Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen ist, kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt vom Einzelfall, insb. von der Größe seines Unternehmens ab. Von einem Arbeitgeber eines größeren Unternehmens wird erwartet werden können, dass er sich selbst aktiv darum bemüht, herauszufinden, ob die von ihm angewandten Regelungen benachteiligend sind. Dies kann aus Kostengründen nicht von jedem Arbeitgeber eines noch so kleinen Unternehmens erwartet werden. In diesem Fall dürfte dem Arbeitgeber dann kein grober Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen sein, wenn der Arbeitgeber in einer schwierigen Rechtsfrage nach einer vertretbaren Rechtsansicht handelt (Bauer/Göpfert/Krieger, s.o., § 15 Rn 40; Nebeling/Miller, RdA 2007, 289, 292 f.). Dies gilt auch dann, wenn die Geltung von Tarifverträgen im Arbeitsvertrag vereinbart ist oder ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird (BT-Drucks 16/1780, 38). Verstößt eine Regelung in einer Kollektivvereinbarung gegen das AGG, so ist sie gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

 

Rz. 98

Wird z.B. bestimmten Personen oder Personengruppen in der Kollektivvereinbarung unzulässig eine geringere Leistung des Arbeitgebers versprochen oder werden sie von einer solchen Leistung verbal ausgeschlossen, ist die Kollektivvereinbarung insoweit unwirksam. An ihre Stelle tritt die Gleichstellungspflicht des Arbeitgebers, d.h. zu Unrecht benachteiligte Personen oder Personengruppen erhalten einen Gleichstellungsanspruch mit den begünstigten Arbeitnehmern. In vielen Fällen ergibt sich die Gleichheitswidrigkeit eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung nicht direkt aus dem Wortlaut. Vielmehr ergibt erst die Auslegung, dass bestimmte Personen oder Personengruppen von einzelnen Vergünstigungen, wie z.B. Sondervergütungen, ausgenommen oder insgesamt in den Geltungsbereich des Tarifvertrags, z.B. zur Altersversorgung, nicht aufgenommen sind. Dann erklärt § 7 Abs. 2 AGG keineswegs die begünstigenden Bestimmungen für unwirksam, denn das würde Sinn und Zweck der diskriminierenden Benachteiligungsverbote unmittelbar zuwiderlaufen. Rechtswidrig ist vielmehr das stillschweigende Übergehen der benachteiligten Arbeitnehmer und diese Rechtswidrigkeit wird durch die gesetzliche Gleichstellung beseitigt (Wiedemann, NZA 2007, 950, 952).

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