Rz. 147
Ein in der Praxis oft übergangenes Problem ist die Vermutungsregelung des § 2268 Abs. 2 BGB, die die Frage regelt, ob im Falle der Erhebung der Klage auf Auflösung oder Scheidung der Ehe oder im Falle der Zustimmung zur Scheidung durch den Erblasser eine Verfügung von Todes wegen wirksam bleiben soll. Nach §§ 2077, 2268 BGB spricht eine Vermutung dafür, dass das gemeinschaftliche Testament unwirksam ist, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst wurde. Hierbei handelt es sich um eine Auslegungsregel, bei der die Rechtsprechung mehr und mehr zu einer individuellen Auslegung tendiert. Ist die Ehe noch nicht geschieden, liegen die Voraussetzungen für die Scheidung aber vor, gilt gemäß § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB die Auslegungsregel nur, wenn der Erblasser selbst den Scheidungsantrag gestellt bzw. eingereicht hat.
Auf die Erbeinsetzung von Schwiegerkindern findet § 2077 BGB keine Anwendung. Gleiches gilt für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Auch hier findet § 2077 BGB keine Anwendung.
Rz. 148
Um in diesem Zusammenhang Auslegungsstreitigkeiten zu vermeiden, sollte im Testament entweder positiv oder negativ geklärt werden, ob die Verfügung auch bei Eintritt der oben genannten Voraussetzungen gelten und es sollte überlegt werden, ob als Zeitpunkt für die Unwirksamkeit der Scheidungsantrag eines Ehepartners bestimmt werden soll. Bei der Gestaltung einer gemeinschaftlichen Verfügung von Todes wegen ist somit grundsätzlich eine Regelung für den Fall der Scheidung aufzunehmen.
Rz. 149
Strittig ist, ob die Vermutungsregelung auch auf letztwillige Verfügungen Anwendung findet, die die Ehepartner vor der Eheschließung getroffen haben, sei es durch Erbvertrag oder einseitige Verfügungen. Otte vertritt die Auffassung, dass der Bedachte bereits zum Zeitpunkt der Anordnung mit dem Erblasser verheiratet gewesen sein muss. Es reicht danach nicht aus, wenn eine Zuwendung in bloßer Erwartung einer Eheschließung erfolgt, auch wenn es später zur Eheschließung kommt.Lange/Kuchinke gehen hingegen zutreffend davon aus, dass § 2077 BGB auch dann gilt, wenn während eines "Liebesverhältnisses" testiert wird, welches dann später zum Verlöbnis bzw. zur Eheschließung führt. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 3.5.1961 ausgeführt, dass sich die Unwirksamkeitsvermutung der §§ 2077, 2279 BGB auch auf Verfügungen erstreckt, die in einer Zeit errichtet wurden, als die Ehepartner noch nicht verheiratet waren.
Praxishinweis
Nach Ansicht des BGH können über § 2268 Abs. 2 BGB fortgeltende wechselbezügliche Verfügungen auch nach Scheidung der Ehe ihre Wechselbezüglichkeit behalten, mit der Folge, dass sie nicht durch einseitige Verfügung von Todes wegen aufgehoben werden können. Für die Gestaltung hat dies zur Folge, dass geschiedene Ehepartner unter Umständen ihre Testierfreiheit mit der Scheidung nicht wieder erlangt haben und daher ggf. noch ein notarieller Widerruf gegenüber dem geschiedenen Ehepartner erklärt werden muss, bevor wirksam neu testiert werden kann (§§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 2 BGB). Bei der Gestaltung von Ehegattentestamenten ist daher auf eine exakte Formulierung für den Fall der Scheidung zu achten.
Rz. 150
Muster 19.34: Anordnung für den Fall der Scheidung
Muster 19.34: Anordnung für den Fall der Scheidung
Für den Fall, dass unsere Ehe vor dem Tode eines Ehegatten aufgelöst oder Klage auf Aufhebung erhoben oder die Scheidung der Ehe von einem Ehepartner beantragt wurde, sollen alle von uns getroffenen letztwilligen Verfügungen, sowohl für den ersten als auch für den zweiten Todesfall insgesamt, ihrem ganzen Inhalt nach unwirksam sein, und zwar unabhängig davon, wer von uns beiden den Antrag auf Scheidung gestellt oder Klage auf Aufhebung erhoben hat, und unabhängig davon, ob es sich um Zuwendungen untereinander oder zugunsten Dritter handelt. Der jeweils andere Ehepartner soll in diesen Fällen weder testamentarischer noch gesetzlicher Erbe werden. Gleiches gilt auch für Verfügungen von Todes wegen, die wir jeweils vor unserer Ehe getroffen haben.