Rz. 201
Die sogenannten Legal Highs, die auch unter dem Begriff "neue psychoaktive Substanzen" (NPS) bekannt sind, umfassen diverse psychoaktiv wirkende Stoffe. Diese werden als Lufterfrischer, Badesalze oder Kräutermischungen verkauft. Zu den bekannteren Mischungen gehört "Spice", welches seit 2008 sein Unwesen treibt.
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Die neuen psychoaktiven Substanzen sind seit Jahren auf dem Vormarsch. Ein Grund für ihren "Erfolg" auf dem Markt ist u.a., dass ständig neue Mischungen entwickelt und verkauft werden, um das Betäubungsmittelgesetz zu umgehen. Allein 2015 wurden vom europäischen Frühwarnsystem 98 neue Substanzen gemeldet, davon einige teilweise getarnt als Ersatzprodukte für Arzneimittel wie Benzodiazepine. Eine derartige Verbreitung immer neuer chemischer Varianten psychoaktiver Stoffe stellt eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Das Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe (Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz, NpSG), das am 26.11.2016 in Kraft getreten ist, verfolgt daher den Ansatz einer Stoffgruppenregelung. Damit kann den NPS rechtlich effektiver begegnet und die Verbreitung und Verfügbarkeit dieser Stoffe bekämpft werden. Dass dieser Ansatz Erfolg gebracht hat, zeigt die Entwicklung der Zahlen nach Inkrafttreten des NpSG. Im Jahr 2014 waren es 101 Neumeldungen, während die Zahlen bis zum Jahr 2022 kontinuierlich bis auf 41 rückläufig waren (siehe Abbildung 19.12).
Abb. 19.12: Anzahl neuer psychoaktiver Substanzen, die vom EU-Frühwarnsystem pro Jahr entdeckt wurden
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Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht berichtet, dass die nationalen Schätzungen für die 12-Monats-Prävalenz neuer psychoaktiver Substanzen unter jungen Erwachsenen im Alter von 15 bis 34 Jahren von 0,1 % in Lettland bis zu 5,1 % in Rumänien reichen. Im Rahmen einer Erhebung 2019 wurde der Lebenszeitkonsum von neuen psychoaktiven Substanzen unter Schülern auf 0,9 % bis 6,6 % geschätzt.
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Das nach wie vor bestehende Problem der neuen psychoaktiven Substanzen ist dabei, dass ihre Zusammensetzung und somit auch ihre Wirkungen häufig nicht genau bekannt sind. Aus einzelnen Fallbeschreibungen ist jedoch zu entnehmen, dass zu den Nebenwirkungen neben schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch Psychosen und sogar der Tod zählen. Vorrangiges Ziel ist auch bei den neuen psychoaktiven Substanzen die Erzeugung eines Rauschzustandes. Grundsätzlich kann dabei bei Konsumenten neuer psychoaktiver Substanzen von der gleichen Problemausprägung wie bei anderen Drogenkonsumenten ausgegangen werden. Daher ist, wie bei anderen illegalen Drogen auch, davon auszugehen, dass die Fahreignung nicht gegeben ist.
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Da die neuen psychoaktiven Substanzen derzeit aber nur vereinzelt im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt sind, spielen sie momentan als eigenständiger Anlass bei den Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen kaum eine Rolle. Sie tauchen jedoch von Zeit zu Zeit in den Abstinenzkontrollprogrammen (vgl. § 20 Rdn 34 ff.) während der Vorbereitung auf eine MPU auf.
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In einer Untersuchung konnten Perlich und Kollegen 2021 bei der Re-Analyse von 1.037 Urin- und Haarproben von 949 Klienten von Begutachtungsstellen der TÜV Thüringen Fahrzeug GmbH & Co. KG und des DEKRA e.V. Dresden eine NPS-Prävalenz von 4,2 % finden. Der Nachweis von NPS gelang im Haar (7,1 %) deutlich besser als im Urin (0,6 %). In 6 % der untersuchten Haarproben war zudem Beikonsum von NPS zu "klassischen" Drogen nachweisbar. Die Proben waren ursprünglich 2017 und 2018 im Rahmen von Abstinenzkontrollprogrammen, fachärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchungen mit Betäubungsmittel-Fragestellung abgegeben worden. Parallel zur Re-Analyse wurden die zugehörigen verkehrsmedizinischen bzw. medizinisch-psychologischen Gutachten durch Verkehrspsychologen auf diverse Merkmale des Drogenkonsums der Klienten untersucht. Dadurch ließ sich tendenziell die Hypothese bestätigen, dass insbesondere solche Klienten auf NPS umsteigen bzw. zusätzlichen NPS-Konsum betreiben, die eine schwerere Drogenproblematik aufweisen.