Rz. 61
Um die bundesweit einheitliche Durchführung von Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen gewährleisten zu können, müssen gewisse Standards eingehalten werden. Hierzu werden von der Bundesanstalt für Straßenwesen die "Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung" als Grundlage herausgegeben. Im Jahre 2005 gaben dann die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie und die Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin das Grundlagenwerk "Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung: Beurteilungskriterien" heraus, welche in ihrer Bedeutung für die Qualitätssicherung der MPU die Begutachtungsleitlinien umfangreich und im wissenschaftlich begründeten Detail ergänzen. Seit November 2022 sind die "Beurteilungskriterien" in der 4. Auflage im Kirschbaum Verlag erhältlich und seit 1.7.2023 von allen verkehrsmedizinischen und verkehrspsychologischen Gutachtern bei der Fahreignungsbegutachtung als Stand von Wissenschaft und Technik verbindlich anzuwenden.
I. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung
Rz. 62
Wie bereits bei den ärztlichen Begutachtungen (vgl. § 18 Rdn 15) spielen auch bei den Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung eine zentrale Rolle mit Schwerpunkt im verkehrsmedizinischen Bereich.
Während der allgemeine Teil grundsätzliche Beurteilungshinweise enthält, werden im speziellen Teil neben der detaillierten Beschreibung der fahreignungsrelevanten Erkrankungen zudem noch die besonderen Anforderungen bei der Fahrgastbeförderung sowie der Unterschreitung des Mindestalters angeführt.
Die Begutachtungsleitlinien können in der jeweils aktuellen Fassung kostenlos im Internet6 eingesehen und heruntergeladen werden.
II. Beurteilungskriterien
Rz. 63
In diesem Werk, das den geforderten Stand von Wissenschaft und Technik wiedergibt und daher für alle Gutachter und Begutachtungsstellen verbindlich ist, werden die wesentlichen Schritte der Begutachtung in der MPU beschrieben und festgelegt. Es verfolgt das Hauptziel, den Gutachtern als Orientierung in ihrer Entscheidungsfindung zu dienen und so die Begutachtungen in Deutschland auf einem einheitlichen und fachlich aktuellen Standard zu erhalten. Daneben dient die Herausgabe dieses Werks auch der Herstellung von möglichst weitgehender Transparenz der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung. Die überarbeitete und stark erweiterte 4. Auflage der Beurteilungskriterien ist in folgender Struktur aufgebaut:
Teil A:
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Rahmenbedingungen der Fahreignungsdiagnostik
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Form und Ziel der Begutachtung |
▪ |
Aufgabenverteilung |
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Anlässe und Fragestellungen |
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Theoretische Grundlagen
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Voraussetzungen |
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Theorien zur Entstehung von sozial unangepasstem Verhalten |
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Elemente der Fahreignungsdiagnostik |
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Diagnostischer Prozess und GA-Erstellung
▪ |
Aktenanalyse |
▪ |
Hypothesenstruktur |
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Grundsätze der Gutachtenerstellung |
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Gütekriterien, z.B. Nachvollziehbarkeit |
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▪ |
Operationalisierung der Hypothesen |
Teil B:
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Hypothesen und Indikatoren (siehe Tabelle 19.1) |
Teil C:
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Das Psychologische Untersuchungsgespräch (PUG) |
▪ |
Die Medizinische Fahreignungsuntersuchung (MFU) |
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Chemisch-toxikologische Untersuchungen (CTU) |
▪ |
Psychologische Testverfahren in der Begutachtung der Fahreignung (PTV) |
▪ |
Fahreignungsfördernde Interventionen (FFI) |
Um die oben beschriebenen Ziele zu erreichen, werden zunächst die Rahmenbedingungen der Fahreignungsdiagnostik und Untersuchungsanlässe erläutert und anschließend der diagnostische Prozess in Einzelschritten von der Aktenanalyse bis zur Gutachtenerstellung dargelegt. Schließlich wird die MPU als ein Prozess der Bildung aufeinander aufbauender Hypothesen, die an die Fragestellungen der Behörden anknüpfen, dargestellt. Im nächsten Schritt werden Kriterien für das Zutreffen oder Zurückweisen der Hypothesen formuliert, z.B. ob bei Alkoholauffälligkeit eine Alkoholabhängigkeit vorliegt. Beispielhaft werden auch Indikatoren (z.B. bestimmte Angaben des Untersuchten) angegeben, die als psychologische Explorationsbefunde für oder gegen die Hypothesen und Kriterien sprechen können. Abschließend enthalten die Beurteilungskriterien detaillierte Erläuterungen zur Auswahl der Untersuchungsmittel und Interpretation der Befunde.
Rz. 64
Tab. 19.1: Hypothesen der Hauptanlassgruppen einer MPU
Bezeichnung |
Hypothesen der Hauptanlassgruppen |
Hypothese 0 |
"Die zur Beantwortung der behördlichen Fragestellung erforderlichen Befunde konnten bei der Untersuchung erhoben werden und sind im Rahmen der Befundwürdigung verwertbar." |
Hypothese A1 |
"Es liegt Alkoholabhängigkeit vor. Eine Entwöhnungstherapie oder eine vergleichbare, in der Regel suchttherapeutisch unterstüt... |