Rz. 83
Die medizinische Untersuchung umfasst eine körperliche Grunduntersuchung wie beim Hausarzt, die Besprechung der ggfs. vorher ausgefüllten medizinischen Anamnesebögen sowie eine anlassbezogene Untersuchung auf medizinische Folgesymptome oder -krankheiten des Konsumverhaltens bei Alkohol- oder Drogenfragestellungen. Im Rahmen einer behördlichen Fragestellung zu Verkehrsauffälligkeiten beschränkt sie sich auf einen orientierenden Ausschluss einer möglicherweise vorliegenden gesundheitlichen Störung (z.B. Epilepsie), die zu den Auffälligkeiten geführt haben könnte.
Rz. 84
Der verkehrsmedizinische Gutachter prüft, ob Beeinträchtigungen der Fahreignung mit Bezug auf die allgemeinen Anforderungen an den öffentlichen Straßenverkehr vorliegen. Dabei werden – wie auch beim ärztlichen Gutachten – die individuelle körperliche und geistige Ausstattung sowie die individuelle Kompensationsfähigkeit von vorliegenden Gesundheitsstörungen eines Klienten berücksichtigt. Auch hier bilden insbesondere die Begutachtungsleitlinien aber auch die Beurteilungskriterien eine Orientierungshilfe. In der medizinischen Untersuchung ergänzt der Arzt somit die Eignungsuntersuchung durch den Psychologen, indem er die Fahreignung unter Einbezug seiner Sachkenntnis im medizinischen Bereich bewertet.
Rz. 85
Im Übrigen gelten auch für den medizinischen Teil einer MPU die Gütekriterien (vgl. Beurteilungskriterien):
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Anlassbezogenheit gemäß der Fragestellung, |
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Orientierung am Mindestumfang; Erweiterungen nur abhängig von der individuellen Vorgeschichte und |
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Nachvollziehbarkeit der Befunddokumentation, inklusive Fremdanamnese. |
Zudem werden erhobene Befunde hinsichtlich ihrer Relevanz für die Fragestellung bewertet und fließen im Gesamtzusammenhang der Befundlage in die abschließende Bewertung des medizinisch-psychologischen Gutachtens mit ein.
1. Stellenwert der Toxikologie
Rz. 86
Die Rolle toxikologischer Befunde, die aus Urin-, Blut- oder Haarproben gewonnen werden können, wird häufig überschätzt. Sie sind lediglich unterstützende Belege für die Abstinenzbehauptung eines Klienten. Das bedeutet, dass ein negativer, also "sauberer", Laborbefund keinesfalls als Nachweis einer Abstinenz von einer bestimmten Substanz (Alkohol, Cannabis etc.) zu sehen ist. Das liegt bei der Urinanalyse darin begründet, dass es bei den einzelnen Proben stets nur um eine Stichprobe handelt; es spielt also der Zufall eine Rolle, ob man einen Konsumenten identifizieren kann oder nicht. Bei der Haaranalyse ist nachgewiesen, dass geringe Mengen nicht detektiert werden können. Was eine geringe Menge ist, hängt von der konsumierten Substanz ab.
Rz. 87
Allerdings kann ein positiver Laborbefund (d.h. es wurden Substanzen im Urin, Blut oder Haar nachgewiesen) durchaus den Schluss eines stattgefundenen Konsums zulassen. Hierbei ist jedoch z.B. die Problematik eines möglichen Passivkonsums zu beachten, wie er vor allem durch den Niederschlag von Cannabisrauch im Haar entstehen kann. Daher muss ein positiver Laborbefund nicht automatisch den Konsum der Substanz durch den Klienten bedeuten, ein Konsum ist aber zunächst als hoch wahrscheinlich anzusehen. Zum Umgang mit positiven Befunden im Abstinenzkontrollprogramm sei auf § 20 Rdn 44 ff. verwiesen.
Rz. 88
Neben der Abstinenz kann mithilfe von Haaranalysen für Alkohol auch ein in grobe Kategorien eingeteiltes Konsummuster belegt werden. Dabei kann das Nichterreichen bestimmter Grenzwerte in der Analyse als Beleg für die Behauptung des Klienten, dass kein Alkoholmissbrauch betrieben worden ist, gewertet werden (vgl. § 20 Rdn 59).
Rz. 89
Seit der 4. Auflage der Beurteilungskriterien kann auch eine Blutuntersuchung auf den Alkoholkonsum-Marker Phosphatidylethanol (PEth) erfolgen. Mithilfe der PEth-Bestimmung sowie definierter Grenzwerte kann das Alkoholkonsumverhalten in Abstinenz, kontrolliertes Trinken sowie übermäßiger Alkoholkonsum (Missbrauch) unterschieden werden (vgl. § 20 Rdn 60).
Rz. 90
Zu betonen ist daher, dass die Hauptlast bei der MPU in der medizinischen und psychologischen Untersuchung liegt, insbesondere bei der Erstellung der Verhaltensprognose. Die Abstinenzbelege dienen dabei als sogenannte beigestellte Befunde lediglich zur Unterstützung der Angaben des Klienten.
Rz. 91
Schließlich kann daraus gefolgert werden, dass eine MPU in einem ganz besonders positiv gelagerten Ausnahmefall auch ohne Abstinenzbelege positiv beendet werden kann. Voraussetzung ist dann jedoch, dass der Klient die wesentlichen anderen Anforderungen (z.B. Verhaltensänderung) erfüllt. Ergänzend zu diesem Prinzip muss aber gesagt werden, dass allein durch den Beleg der Abstinenz die MPU nicht automatisch positiv wird. Insofern müssen die Abstinenzbefunde immer durch die Gutachter beleuchtet und im Rahmen der Angaben des Klienten unter Berücksichtigung der Beurteilungskriterien...