Rz. 36
Mit Wirkung zum 5.8.2009 ist § 15a RVG eingeführt worden, der die Anrechnung einer Gebühr regelt. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift die Probleme beseitigen, welche die geänderte Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr geschaffen hatte. Die Vorschrift gilt für alle nach dem RVG vorzunehmenden Gebührenanrechnungen. Für die Beantwortung der Frage, wer sich in welchem Umfang auf die Anrechnung berufen kann, ist zunächst zwischen dem Innenverhältnis des Anwalts zum Auftraggeber und dem Außenverhältnis des Mandanten zum Erstattungspflichtigen zu unterscheiden.
a) Innenverhältnis und Außenverhältnis
Rz. 37
§ 15a Abs. 1 RVG stellt klar, dass der Rechtsanwalt frei wählen kann, ob er vom Auftraggeber die volle Geschäfts- oder die volle Verfahrensgebühr oder beide anteilig vermindert oder beide in voller Höhe fordern kann. Insgesamt kann jedoch nicht mehr gefordert werden als der um die Anrechnung verminderte Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Hierauf sollte für den Fall der vollen Berechnung beider Gebühren ausdrücklich hingewiesen werden, um dem Vorwurf einer Gebührenüberhebung (§ 352 StGB) jede Grundlage zu nehmen.
Rz. 38
Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur in den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Fällen berufen. Dritte sind Personen, die nicht am Mandatsverhältnis beteiligt sind, insbesondere also der ersatzpflichtige Schädiger. Liegt keine der drei im Gesetz genannten Annahmen vor, ist ein Berufen auf eine Anrechnung nicht möglich. Auch wenn der Dritte sich auf die Anrechnung nicht beruft, dürfte davon auszugehen sein, dass der Rechtspfleger die Anrechnung von Amts wegen zu berücksichtigen hat, um eine nach dem Gesetz nicht zulässige doppelte Titulierung zu vermeiden.
Die vom Gesetz genannten Möglichkeiten, sich als Dritter auf die Anrechnung zu berufen, lauten:
aa) Erfüllung des Anspruchs auf eine Gebühr
Rz. 39
Der Dritte kann sich auf die Anrechnung berufen, wenn er den Anspruch auf eine Gebühr, insbesondere die Geschäftsgebühr, bereits, und sei es auch nur teilweise – zum Beispiel außergerichtlich – erfüllt hat.
Beispiel
Hat ein Zahlungspflichtiger vorgerichtlich auf die Geschäftsgebühr eine Teilzahlung erbracht und ist der Zahlungspflichtige im Übrigen zur Zahlung verurteilt und ein weiterer (Teil-)Betrag tituliert worden, so ist die gesamte Geschäftsgebühr – und nicht nur die titulierte – im nachfolgenden Kostenfestsetzungs- bzw. Ausgleichungsverfahren hälftig anzurechnen (AG Passau, Beschl. v. 19.6.2015 – 18 C 1553/14; AG Betzdorf, Beschl. v. 13.5.2016 – 34 C 147/14; AG Koblenz, Beschl. v. 10.5.2016 – 152 C 2224/15). Nach § 15a Abs. 2 RVG ist bei der Kostenfestsetzung bzw.- Ausgleichung eine Geschäftsgebühr anzurechnen, soweit sie vom Gegner erfüllt oder gegen diesen tituliert worden ist. Wurde zum Teil freiwillig gezahlt, ist insoweit bereits Erfüllung eingetreten und der freiwillig gezahlte Betrag ist anzurechnen und im Kostenfestsetzungs- bzw. Ausgleichungsverfahren zu berücksichtigen. Soweit ein weiterer (Teil-)Betrag tituliert wurde, ist aus der Summe dieser beiden Einzelbeträge der Gesamtbetrag hälftig anzurechnen (Schneider, NJW-Spezial 2015, Seite 733).
bb) Vollstreckungstitel wegen einer der beiden Gebühren
Rz. 40
Ist die Geschäftsgebühr – und sei es auch nur teilweise – tituliert, kann sich der erstattungspflichtige Dritte ebenfalls auf die Anrechnung, soweit tituliert, berufen. Dies gilt auch im Fall des Unterliegens bei einer Widerklage.
Beispiel
Der Geschädigte klagt die Hauptforderung und die Geschäftsgebühr in voller Höhe als Nebenforderung ein. Die Nebenforderung wird wegen eines Teilunterliegens nur anteilig tituliert. Der Versicherer kann sich bei der Kostenfestsetzung auf die Anrechnung nur insoweit berufen, als tituliert wurde.
Rz. 41
Bei einer Kostenquotelung kann sich der Dritte daher nur im Umfang der Titulierung auf die Anrechnung berufen.
cc) Geltendmachung beider Gebühren im selben Verfahren
Rz. 42
Der Dritte kann sich ebenfalls auf eine Anrechnung berufen, wenn beide Gebühren gegen ihn in demselben Verfahren geltend gemacht werden. Dies ist nach der Gesetzesbegründung der Fall, wenn beide Gebühren im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden. Hiervon erfasst wird insbesondere die Anmeldung der Mahnverfahrensgebühr nach Nr. 3305 VV RVG neben der Verfahrensgebühr des Erkenntnisverfahrens.
Praxistipp
Die Geschäftsgebühr kann dagegen nicht neben der Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren verfolgt werden. Die dritte Variante ist daher im Verhältnis zur Geschäftsgebühr nicht einschlägig.
b) Ausnahmen von der Anrechnung
Rz. 43
Die Anrechnung der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr gemäß Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG, kommt nicht in Betracht, wenn zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300 VV RVG entstanden ist, sondern sie ihrem Prozessbevollmächtigten für dessen vorprozessuales Tätigwerden ein von einzelnen Aufträgen unab...