I. Typischer Sachverhalt
Rz. 73
Im Ausgangsfall (vgl. Rdn 1) möchte Herr Berg seinen langjährigen und vertrauenswürdigen Mitarbeiter Karl A. Müller in herausgehobener Position an der Geschäftsleitung des Unternehmens beteiligen. Er fragt deshalb seinen Rechtsanwalt, welche rechtlichen Möglichkeiten sich ihm bieten.
Alternative 1: Herr Berg möchte auch seinen Mitarbeiter Marko Profitlich zum Prokuristen bestellen, den er zwar für einen guten Mann hält, dem er aber Fesseln anlegen möchte.
Alternative 2: Herr Berg möchte seinem Mitarbeiter Otto Piesepampel in seinem Unternehmen zwar eine herausgehobene Position geben, aber unterhalb der Geschäftsleitung bzw. Prokuristenebene.
II. Prokura
Rz. 74
Die Prokura ist die besondere Bevollmächtigung durch einen Kaufmann, vgl. §§ 48 bis 53 HGB.
1. Erteilung und Erlöschen
Rz. 75
Die Prokura kann wegen ihrer weit reichenden Konsequenzen nur ausdrücklich und nur durch den Inhaber des Handelsgeschäfts oder seinen gesetzlichen Vertreter erteilt werden, § 48 Abs. 1 HGB. Sie kann nur von Kaufleuten erteilt werden (§ 48 HGB), insbesondere Handelsgesellschaften (§ 6 Abs. 1 HGB), eingetragenen Genossenschaften (§ 42 GenG) sowie juristischen Personen (§§ 33–34 HGB). Nur natürliche Personen können Prokura erhalten. Sie müssen mindestens beschränkt geschäftsfähig sein. Wirksam ist die Prokura mit Erteilung. Diese ist formfrei, Schriftform ist aber üblich. Zuständig für die Erteilung ist die nach der jeweiligen Verfassung des Unternehmens zuständige Person, z.B. bei der GmbH der Geschäftsführer, unbeschadet der Zustimmung der Gesellschafterversammlung im Innenverhältnis, bei der KG die geschäftsführenden Gesellschafter. Die Prokura erlischt unabhängig von der Eintragung in das Handelsregister unmittelbar durch den jederzeit möglichen Widerruf, § 52 Abs. 1 HGB. Das Erlöschen ist gem. § 53 Abs. 2 HGB beim Handelsregister anzumelden, schon wegen der Publizität des Handelsregisters gem. § 15 Abs. 1 HGB. Auch das automatische Erlöschen der Prokura beim Aufstieg des Prokuristen zum (alleinigen) Geschäftsführer ist anmeldepflichtig.
2. Umfang
Rz. 76
Den Umfang der Prokura bestimmt § 49 HGB. Eine Beschränkung ist Dritten gegenüber grundsätzlich unwirksam, § 50 HGB. Diese Regelung liegt im Interesse des Rechtsverkehrs, damit jeder bei Vertragsabschlüssen mit einem Prokuristen erkennen kann, ob sich der Prokurist im Rahmen seiner Vertretungsmacht hält. Der Prokurist kann alle gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäfte jeglicher Art abschließen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt, § 49 Abs. 1 HGB. Die Prokura ist also nicht durch das konkrete Handelsgewerbe begrenzt.
Rz. 77
Eine persönliche Beschränkung der Prokura ist nur als Filialprokura möglich oder indem die Prokura als Gesamtprokura nur von mehreren Personen gemeinsam ausgeübt werden kann. Gesamtprokura des Prokuristen mit dem Einzelkaufmann ist nicht zulässig (vgl. Rdn 82).
Rz. 78
Der Geschäftsinhaber kann die Prokura auf eine Filiale beschränken und Filialprokura gem. § 50 Abs. 3 HGB einräumen. Voraussetzung der wirksamen Beschränkung ist die Selbstständigkeit der Zweigniederlassung. Die Niederlassungen müssen unterschiedliche Firmen tragen oder jedenfalls muss die Firma der Zweigniederlassung durch einen Zusatz als solche gekennzeichnet sein, § 50 Abs. 3 S. 2 HGB.
Rz. 79
Eine ausdrückliche gesetzliche Begrenzung erhält die Prokura durch die Immobiliarklausel gem. § 49 Abs. 2 HGB. Der Prokurist ist nämlich zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken nur ermächtigt, wenn ihm diese Befugnis besonders erteilt ist. Begrenzt ist die Prokura auch durch die so genannten Prinzipalgeschäfte, die nur der Kaufmann persönlich vornehmen kann. Diese Beschränkung ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Denn die Prokura ermächtigt nur zu solchen Geschäfts- und Rechtshandlungen, die (gewöhnlich oder ungewöhnlich) der Betrieb eines Handelsgeschäftes mit sich bringt. Dazu gehören nicht Grundlagen- und Strukturentscheidungen, die dem Prinzipal vorbehalten sind. Der Prokurist kann daher z.B. nicht das Handelsgeschäft veräußern oder einstellen, Anmeldung und Zeichnung der Firma zum Handelsregister, §§ 29, 31 HGB, vornehmen, Prokura erteilen, § 48 HGB, oder den Jahresabschluss gem. § 245 Abs. 1 HGB unterzeichnen.
Rz. 80
Das Risiko einer Überschreitung des Umfangs der Prokura trägt grundsätzlich der vertretene Kaufmann. Ausnahmen sind möglich b...