Rz. 9

Durch Gesetz vom 31.7.2017 über die Reform des belgischen Erbrechts ist insbesondere auch das belgische Pflichtteilsrecht geändert worden – während die Regeln über die gesetzliche Erbfolge weitgehend unberührt blieben. Entsprechend einer europaweiten allgemeinen Tendenz werden die Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers erweitert und das Pflichtteilsrecht beschränkt.

Die Änderungen treten ein Jahr nach der Bekanntmachung des Gesetzes im belgischen Staatsblatt in Kraft und sind auf alle Erbfälle anwendbar, die nach diesem Stichtag eingetreten sind. Die Publikation war bei Drucklegung dieser Auflage noch nicht erfolgt. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Neuregelung im Herbst 2018 in Kraft treten wird.

Der Pflichtteil des Ehegatten[10] besteht in einem Nießbrauch an der Ehewohnung und am Hausrat. Der Nießbrauch erfasst aber zumindest die Hälfte des Nachlasses, Art. 915bis c.c. Besteht der Nachlass ausschließlich aus (einem Anteil am) Eigenheim und Hausrat, erstreckt sich der Nießbrauch auf diese Weise auf den gesamten Nachlass. Er bezieht sich dabei anteilig auf den freien wie auch auf den pflichtteilsgebundenen Nachlass. Sind die Eheleute seit mehr als sechs Monaten faktisch getrennt und hat das Gericht die getrennte Wohnung bestätigt, entfällt der Ehegattenpflichtteil, Art. 915bis § 3 c.c. Es bleibt dem überlebenden Ehegatten ein Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass, Art. 205bis c.c. Eine gerichtliche Trennung von Tisch und Bett sowie die Scheidung schließen das Erb- und Pflichtteilsrecht aus.

In einem Vertrag zur einverständlichen Regelung dieser Verfahren können die Eheleute schon für die Zeit nach Einleitung des gerichtlichen Trennungs- bzw. Scheidungsverfahrens wechselseitig auf das Erbrecht verzichten, Art. 1287 Abs. 2 belg. ZPO.[11] Schließlich kann der Ehegatte testamentarisch von der Erbfolge ausgeschlossen werden, wenn die Eheleute seit mindestens sechs Monaten getrennt leben und der Erblasser bei Gericht eine vom Ehegatten getrennte Wohnung beantragt hat, Art. 915bis § 3 c.c. Der getrenntlebende Ehegatte behält aber einen Unterhaltsanspruch gegen den Nachlass, Art. 205bis c.c.

 

Rz. 10

Der Pflichtteil der Verwandten ist nach dem bislang geltenden Recht ein sog. Noterbrecht. Der Pflichtteil gewährt den Berechtigten eine unmittelbare Beteiligung am Nachlass in natura. Im Rahmen der Reform durch das Gesetz vom 31.7.2015 wird allerdings – wie in Frankreich – der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf einen Geldanspruch geändert. Er erhält also künftig nicht mehr einen pars bonorum bzw. kannn auf eine Beteiligung an dem Nachlass verwieden werden, sondern kann von den testamentarischen Erben die auszahlung seines Pflichtteils in Geld verlangen.

Noterbberechtigt sind die Abkömmlinge, Art. 913 c.c., bei Fehlen solcher die Aszendenten, Art. 915 c.c. Hinterlässt der Erblasser keine Aszendenten, Abkömmlinge oder einen Ehegatten, kann er über den gesamten Nachlass verfügen.[12]

Die Erbrechtsreform vom 31.7.2017 hat insoweit eine Änderung gebracht, als dass den Aszendenten nunmehr kein Pfichtteil mehr zusteht. Sie können allenfalls bei Bedürftigkeit Unterhaltsansprüche gegen den Nachlass geltend machen, Art. 205bis § 2 c.c.

Der Umfang der den Kindern zustehenden Noterbrechte hängt von ihrer Anzahl ab: Bei einem Kind beträgt die Quote ½, bei zwei Kindern ⅔ und bei drei und mehr Kindern insgesamt ¾, so dass der Erblasser nur noch über ¼ verfügen kann.[13]

 
Anzahl der Kinder Summe der Noterbrechte Einem einzelnen Kind zustehende Quote Verbleibender (freier) Nachlass
1 ½ (neu: ½) ½ (neu: ½) ½ (neu: ½)
2 ⅔ (neu: ½) ⅓ (neu: ¼) ⅓ (neu: ½)
3 ¾ (neu: ½) ¼ (neu: 1/6) ¼ (neu: ½)
4 ¾ (neu: ½) 3/16 (neu: ⅛) ¼ (neu: ½)

Die Reform vom 31.7.2017 hat hier nicht nur das Aszendentenpflichtteil abgeschafft, sondern auch die Pflichtteilsquote der Abkommlinge reduziert. Diesen ist nunmehr – ohne Rücksicht auf die Anzahl der Kinder – in allen Fällen nur noch die Hälfte des Nachlassses als Pflichteil vorbehalten – ggf. belastet mit dem Nießbrauch des überlebenden Ehegatten.

 

Rz. 11

Der Ehegattennießbrauch im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge lässt den Pflichtteil von Abkömmlingen unberührt. Diese können zumindest ihren Pflichtteil lastenfrei verlangen, auch wenn der Erblasser die Umsetzung des Nießbrauchs testamentarisch ausgeschlossen hatte.[14] Zu besonderen Überlagerungen kommt es, wenn der Pflichtteils-Nießbrauch des Ehegatten mit der Pflichtteilsquote der Verwandten bzw. testamentarischen Verfügungen zusammentrifft: Wird der disponible Teil oder der gebundene Nachlass mit dem Nießbrauch belastet? Art. 915bis § 4 c.c. löst diese Kollision der Pflichtteilsrechte dahingehend auf, dass sich der Nießbrauch im Verhältnis der Anteile (pro rata) quotal auf die Pflichtteilsrechte und das vermachte Vermögen verteilt. Im Ergebnis gilt dann für die oben in der Tabelle genannten Pflichtteils- und die freien Quoten, dass diese mindestens zur Hälfte nießbrauchsbelastetes, und zum übrigen Teil nießbrauchsfreies Vermögen betreffen.[15] Bei drei ...

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