Rz. 28
Der Ausschluss von der Erbfolge muss nicht ausdrücklich erklärt werden. Eventuell ist ein entsprechender Wille durch Auslegung zu ermitteln. Eine gesetzliche Vermutung für das Bestehen eines Enterbungswillens existiert nicht. Vielmehr kann eine Enterbung nur dann angenommen werden, wenn dies aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers eindeutig hervorgeht. Nach § 2087 BGB ist in der Zuwendung einer Quote grundsätzlich eine Erbeinsetzung zu sehen. Eine Ausnahme hierzu bildet § 2304 BGB, demzufolge der auf seinen Pflichtteil Eingesetzte ausdrücklich nicht Erbe wird, soweit der letztwilligen Verfügung kein abweichender Wille des Erblassers zu entnehmen ist. Dabei ist der im Gesetz verwendete Begriff der Zuwendung weit auszulegen und in einem nichttechnischen Sinne zu verstehen. Von § 2304 BGB wird daher jede Art der (ausdrücklichen) Pflichtteilszuwendung erfasst. Entscheidend ist, dass Gegenstand der Zuwendung tatsächlich der Pflichtteil sein muss. Wenn dem Empfänger wertmäßig mehr oder weniger als sein Pflichtteil zukommen soll oder er etwas anderes als einen reinen Geldanspruch erhält (aliud), ist eine Anwendung von § 2304 BGB ausgeschlossen. Auch Zuwendungen zur Deckung des Pflichtteils stellen keinen Fall von § 2304 BGB dar. Soll der Berechtigte z.B. bestimmte Gegenstände erhalten, um so wertmäßig seinen Pflichtteilsanspruch abzugelten, ist hierin grundsätzlich die Anordnung eines Vermächtnisses zu sehen, dessen Gegenstand gerade nicht der Pflichtteil, sondern ein aliud ist.
Rz. 29
Für die Entscheidung, ob das Zugewendete mit dem Pflichtteil identisch ist, muss ausschließlich auf die objektive Rechtslage (im Zeitpunkt des Erbfalls) abgestellt werden. Subjektive Vorstellungen des Erblassers spielen keine Rolle, sodass zwischen Testamentserrichtung und Erbfall eingetretene Veränderungen eine Anwendung von § 2304 BGB ggf. ausschließen können, obwohl der Erblasser tatsächlich nur den Pflichtteil zuwenden wollte.
Rz. 30
Mit besonderen, zusätzlichen Schwierigkeiten ist die Pflichtteilszuwendung an den überlebenden Zugewinn-Ehegatten verbunden, wobei die Zuwendung des "großen" Pflichtteils i.d.R. als Pflichtteilsvermächtnis, ausnahmsweise auch als Erbeinsetzung auszulegen ist. Kommt der Pflichtteilszuwendung aber ein beschränkender Charakter zu, insbesondere dann, wenn der Erblasser seinen Ehegatten – wenigstens sinngemäß – auf den "kleinen" Pflichtteil verweist, liegt hierin weder eine Erbeinsetzung noch eine Vermächtnisanordnung. Der Ehegatte ist vielmehr enterbt und hat nur Anspruch auf den kleinen Pflichtteil (und daneben den konkreten Zugewinnausgleich), § 1371 Abs. 2 BGB.
Rz. 31
Die wirksame Enterbung eines Abkömmlings erstreckt sich im Zweifel nicht auf dessen ganzen Stamm. An die Stelle des Ausgeschlossenen treten, wenn der Verfügung von Todes wegen nicht im Wege der Auslegung ein anderer Wille des Erblassers entnommen werden muss, seine Abkömmlinge, und zwar prinzipiell nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.
Rz. 32
Ist die Enterbung anfechtbar, wurde also z.B. der Pflichtteilsberechtigte in der Verfügung von Todes wegen infolge Irrtums oder Unkenntnis von seinem Vorhandensein übergangen, berechtigt ihn dies nicht nur zur Forderung des Pflichtteils. Vielmehr ist er sogar zur Anfechtung der Verfügung von Todes wegen gem. §§ 2079, 2281 Abs. 1 BGB befugt mit der Folge, dass die beeinträchtigende Verfügung als von Anfang an unwirksam anzusehen ist. Pflichtteilsgeltendmachung und Testamentsanfechtung schließen sich weder gegenseitig aus noch ist anzunehmen, dass die eine Maßnahme – konkludent – die andere beinhalten würde.