In der Praxis ist die Entscheidung, ob die Ausschlagung oder die Annahme der Erbschaft zu einem günstigeren Ergebnis führt bzw. ob überhaupt eine Möglichkeit zur Ausschlagung (ohne Verlust des Pflichtteilsrechts) besteht, äußerst problematisch.
Praxisrelevant ist daher die Frage, ob eine Anfechtung zulässig ist, wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe einen beschwerten bzw. beschränkten Erbteil angenommen hat und ihm dies erst nach Ablauf der Ausschlagungsfrist bewusst wird. Die h.M. bejaht in diesem Fall einen Anfechtungsgrund nach § 119 Abs. 2 BGB (Inhaltsirrtum), und sieht in den Beschränkungen oder Beschwerungen nach § 2306 BGB eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Der BGH hat ebenfalls eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB zugelassen, wenn die Erbschaft in Unkenntnis eines belastenden Vermächtnisses angenommen wurde. Das BayObLG hat ebenfalls die Beschränkung durch eine Nacherbfolge als verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses angesehen.
Darüber hinaus hat der BGH in einem grundlegenden Beschluss vom 5.7.2006 Folgendes festgestellt:
"Die irrige Vorstellung des unter Beschwerungen als Alleinerbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, rechtfertigt die Anfechtung einer auf dieser Vorstellung beruhenden Annahme der Erbschaft."
Der Erbe hat sich dann über die Notwendigkeit der Ausschlagung zwecks Erlangung seines Pflichtteilsanspruches geirrt. Hierin liegt ein Inhaltsirrtum. Diese Entscheidung erging noch zu § 2306 BGB a.F.
Diese Rechtsprechung gilt auch nach der Reform des § 2306 BGB fort, weil von einem rechtlich nicht beratenen Erben nicht erwartet werden kann, dass er weiß, dass er einen belasteten Erbteil ausschlagen muss, um sich seinen Pflichtteil zu erhalten. So jetzt auch das Urteil des BGH vom 29.6.2016 – IV ZR 387/15:
“Auch nach der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1.1.2010 kann ein zur Anfechtung der Annahme einer Erbschaft berechtigender Irrtum vorliegen, wenn der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren.
Der mit Beschränkungen und Beschwerungen belastete Erbe weiß im Regelfall nicht, dass er die Erbschaft ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren (Fortführung von BGH v. 5.7.2006 – BGH Aktenzeichen IVZB3905 IV ZB 39/05, ZEV 2006, ZEV Jahr 2006 Seite 498 mAnm Leipold).“
Nichtsdestotrotz sollte sich der kundige Berater auf derartige Anfechtungsmöglichkeiten nicht verlassen und der genauen rechtlichen Prüfung sowie dem Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist besondere Aufmerksamkeit widmen.