Rz. 6

Erste Hinweise des Bundessozialgerichts lassen vermuten, dass sich auch das Bedürftigentestament durchsetzen wird.

 

Beispiel

Die Begünstigte ist nicht behindert, sondern lediglich bedürftig, und bezieht Kinderzuschläge für ihre fünf Kinder in Höhe von 700 EUR monatlich. Sie steht in keiner besonderen Beziehung zum Erblasser E, der mit ihr weder eng verwandt noch ihr gegenüber unterhaltspflichtig war. Vor- und Nacherbschaft wurde nicht angeordnet. Der Erbteil beläuft sich auf 110.000 EUR, es ist eine Dauertestamentsvollstreckung für 20 Jahre angeordnet. Der Testamentsvollstrecker muss den Vermögensstamm nicht erhalten, wenn dies nach seinem Ermessen "untunlich" ist, ansonsten sollen nur Früchte dauerhaft zugewendet werden. Er zahlt monatliche Raten in Höhe von jeweils 500 EUR aus und stellt einen Pkw zur Nutzung zur Verfügung.

 

Rz. 7

Das BSG führte zu diesem Fall Folgendes aus:[8]

Zitat

Die durch einen Erbfall erlangte Position ist nach dem Einkommens- und Vermögensbegriff der §§ 1113 SGB II, der auch für Leistungen nach § 6a BKGG gilt, nur bei einem Erbfall vor der Antragstellung Vermögen. Andernfalls handelt es sich um Einkommen.

Bei einem nach der Antragstellung eingetretenen Erbfall ist das Erbe dem Bedarf als Einkommen erst ab dem Zeitpunkt gegenüberzustellen, in dem es dem Antragsteller tatsächlich als bereite Mittel zur Deckung seines Bedarfs zur Verfügung steht. Erst ab diesem Monat beginnt auch der sogenannte Verteilzeitraum, der die zeitliche Dauer der Berücksichtigung einmaliger Einnahmen beschreibt und durch § 11 Abs. 3 S. 2 SGB II auf sechs Monate begrenzt ist.

Eine angeordnete Dauervollstreckung ist bei rein gewillkürter Erbeinsetzung nicht sittenwidrig und muss vom Antragsteller nicht zwecks Leistungsbewilligung nach dem SGB II angefochten werden. Auch für die tatsächliche Verwertbarkeit eines Erbes unter angeordneter Dauervollstreckung kommt es – ungeachtet der Einordnung als Einkommen oder Vermögen – darauf an, ob eine konkrete Verwertungsmöglichkeit in absehbarer Zeit ersichtlich ist und daraus bereite Mittel zur Verfügung stehen. Die dafür benötigte Zeit ist ggf. durch eine Prognose anhand der Dauer des Bewilligungszeitraums und den mit einer langfristigen Prognose verbundenen Unsicherheiten zu bestimmen.

Hat der Erblasser im Testament angeordnet, den Stamm des Vermögens zu erhalten, und kann der Erbe ein im Ermessen des Testamentsvollstreckers liegendes Zahlungsverhalten nur mittels einer Klage erzwingen, ist der Erbe weder über das gesamte Erbe verfügungsberechtigt noch hat er einen gesicherten Zahlungsanspruch gegenüber dem Testamentsvollstrecker.

Die Nutzung eines durch den Testamentsvollstrecker bereitgestellten Kfz ist im SGB II leistungsunschädlich.

 

Rz. 8

Ein Bedürftigentestament kann grundsätzlich auch durch eine Vor- und Nachvermächtnislösung gestaltet werden, wobei der Bedürftige nicht (Mit-)Erbe wird, sondern ein Vorvermächtnis in Höhe seines Pflichtteilsanspruchs erhält. Ebenso ist eine Gestaltung mittels einer einfachen Vermächtnislösung denkbar. Der Bedürftige erhält dann ein direktes Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteilsanspruchs. Möglich ist auch ein Pflichtteilsverzichtsvertrag, wonach der Bedürftige lebzeitig auf den Pflichtteil verzichtet und sich erbrechtliche Zuwendungen auf das Schonvermögen beschränken. Die Lösung der Wahl ist nach dem Einzelfall zu beurteilen. Eine "beste" Lösung gibt es nicht.

 

Rz. 9

Der Testamentsvollstrecker überwacht die im Testament getroffenen Regelungen, verwaltet also im Falle des Bedürftigentestaments den Nachlass im Wege der Dauervollstreckung. Empfehlenswert ist die Zuwendung von Naturalleistungen anstelle von Geldleistungen an den Bedürftigen. Zu Naturalleistungen zählen u.a. nicht von der Krankenkasse übernommene Hilfsleistungen, Kosten für Kleidung, Kosten für individuelle Bedürfnisse und Hobbys. Der Bedürftige kann somit nicht frei über Erträge des Erbes verfügen, sondern muss akzeptieren, was der Testamentsvollstrecker ihm zuteilt.

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