Prof. Dr. Robert Koch, Moritz Rumpff
Rz. 83
Der VR ist nach § 81 Abs. 1 VVG nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der VN oder einer seiner Repräsentanten vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt. Handelt es sich bei dem vorsätzlich agierenden Repräsentanten um eine Vertrauensperson, hat der VN gleichwohl Anspruch auf Entschädigung. Da die Vertrauensschadenversicherung gerade dem Zweck dient, dem VN Schäden durch vorsätzlich unerlaubte Handlungen zu ersetzen, die von Vertrauenspersonen begangen werden, ist § 81 Abs. 1 VVG für diesen Fall (konkludent) abbedungen. Nichts anderes gilt, wenn mehrere Vertrauenspersonen, die zugleich Repräsentanten des VN sind, in Neben- oder Mittäterschaft vorsätzlich eine unerlaubte Handlung begehen.
Sind sowohl Neben- als auch Mittäter zwar Repräsentanten des VN, ist jedoch nur einer von ihnen Vertrauensperson, stellt sich die Frage, ob der VR gem. § 81 Abs. 1 VVG leistungsfrei ist. Die Frage der (teilweisen) Leistungsfreiheit gem. § 81 Abs. 2 VVG stellt sich darüber hinaus in den Fällen, in denen neben einer vorsätzlich handelnden Vertrauensperson eine nur grob fahrlässig handelnde (Vertrauens-) Person, die zugleich Repräsentant des VN ist, den Schaden mitverursacht hat.
Nach Ansicht des LG Frankfurt a.M. sind vorsätzliche Handlungen von geschäftsführenden Organen des VN, die nicht Vertrauensperson, aber Repräsentant sind, im Rahmen der Prüfung des Leistungsausschlusses nach § 81 Abs. 1 VVG zu berücksichtigen. Das OLG Frankfurt a.M. hat die Anwendung von § 61 VVG a.F. im Fall des grob fahrlässigen Mitwirkens an der Schadensentstehung bejaht. In jenem Fall sah das OLG Frankfurt a.M. die grob fahrlässige (Mit-) Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Repräsentanten darin, dass die Geschäftsführung eine mangelhafte Organisations- und Überwachungsstruktur aufrecht erhalten habe, die der vorsätzlich handelnden Vertrauensperson Betrügereien und Fälschungen ermöglichte. Der BGH hat die Anwendung von § 61 VVG a.F. wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Vertrauensschadenversicherung der Notarkammern mit der Begründung verneint, dass diese Versicherung nach dem Willen des Gesetzgebers die Haftpflichtversicherung des Notars wirksam ergänzen solle und deshalb in ihrer Handhabung auch den Regeln der Haftpflichtversicherung folgen müsse. Angesichts dieser Begründung lässt sich das Urteil des BGH auf die allgemeine Vertrauensschadenversicherung nicht übertragen.
In der Literatur wird sich zum Teil gegen die Anwendung von § 81 Abs. 2 VVG ausgesprochen. Wenn für zwei vorsätzlich handelnde Vertrauenspersonen ein Leistungsanspruch gegen den VR bestehe, müsse im Erst-Recht-Schluss eine Kombination von vorsätzlich und grob fahrlässig handelnden Vertrauenspersonen und Repräsentanten dazu führen, dass ebenfalls ein ungekürzter Leistungsanspruch gegen den VR bestehe. Zudem widerspreche es dem Schutzzweck der Vertrauensschadenversicherung, wenn der VR bei grob fahrlässigem Mitwirken von Repräsentanten an der Schadensentstehung die Leistung kürzen könnte.
Weder die Sichtweise des OLG Frankfurt a.M. noch die der Literatur vermögen zu überzeugen, Eine allein aus der mangelhaften Organisations- und Überwachungsstruktur des VN resultierende Beschränkung oder sogar ein Ausschluss des Versicherungsschutzes wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls stünde sicherlich im Widerspruch zum Zweck der Vertrauensschadenversicherung. Sowohl das OLG Frankfurt a.M. als auch die Literatur übersehen jedoch, dass der BGH an die Herbeiführung eines Versicherungsfalls durch Unterlassen hohe Anforderungen stellt. Voraussetzung der Gleichstellung des Unterlassens mit positivem Tun ist, dass der VN die Umstände gekannt hat, derentwegen der Eintritt des Versicherungsfalls in den Bereich der praktisch unmittelbar in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten gerückt ist. Die bloß abstrakte Möglichkeit, dass infolge der mangelhaften Organisations- und Überwachungsstruktur des VN Vertrauenspersonen vorsätzlich unerlaubte Handlungen begehen, reicht für die Anwendung des § 81 Abs. 2 VVG somit nicht aus. Insoweit kommt nur die Verletzung einer vorbeugenden Obliegenheit (§ 28 VVG) oder ein Verstoß gegen die Regeln über die Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) in Betracht. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Entschädigungsanspruchs wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch Unterlassen kommt nur dann Betracht, wenn die Repräsentanten des VN Anhaltspunkte dafür hatten, dass eine vorsätzliche unerlaubte Handlung unmittelbar bevorstand.