Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 153
Wer bisher die Mutter mit dem minderjährigen Kind anwaltlich vertreten hat, ist gut beraten, das Mandat nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes nicht weiter auszuüben. Denn aus anwaltlicher Sicht stellt sich die Frage der Interessenkollision bei gleichzeitiger Vertretung des Kindes, das Unterhalt gegen den unterhaltspflichtigen Vater geltend macht und der Mutter, die beim volljährigen Kind generell anteilig mithaftet. Aber auch die weitere Vertretung entweder der Mutter oder des jetzt volljährigen Kindes wird als nicht mehr zulässig angesehen.
Rz. 154
Aufgrund der jetzt eintretenden grundsätzlichen anteiligen Haftung beider Elternteile für den Barunterhalt des Kindes stellt sich die Frage der Interessenkollision bei einer Fortführung dieses Mandates. Denn Interesse des Kindes ist es, möglich viel Unterhalt zu bekommen – und zwar auch von der anteilig mithaftenden Mutter. Interesse der Mutter ist es, möglichst wenig Unterhalt zahlen zu müssen. Anwaltliche Pflicht ist es aber, die Ansprüche und Interessen des Mandanten möglichst erfolgreich durchzusetzen.
Ein Interessengegensatz ergibt sich auch im Hinblick auf den Ehegattenunterhalt, wenn bei der Berechnung des Trennungs- oder nachehelichen Unterhalts die Haftungsanteile beider Eltern für den Volljährigenunterhalt als Abzugsposten berücksichtigt werden und dadurch die Höhe des Ehegattenunterhalts beeinflusst wird.
Problematisch ist hier auch, ob eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht vorliegt, wenn Informationen verwertet werden, die jeweils von der anderen Person gegeben worden sind. So stellen sich Fragen der Schweigepflicht z.B. auch, wenn bestimmte Umstände bei der Einkommensermittlung, die der bis dahin betreuende Elternteil seinem Verfahrens-bevollmächtigten im Rahmen des Ehegattenunterhalts mitgeteilt hat, bei der Bemessung der Haftungsanteile beim Volljährigenunterhalt verschwiegen werden sollen.
Rz. 155
In Einzelfällen kann der Interessenkonflikt nicht gegeben sein.
Anwaltsgerichtshof Frankfurt, Gerichtsbescheid vom 7.11.2018 – 2 AGH 4/16
Zitat
1. Die anwaltliche Vertretung eines minderjährigen Kindes gemäß § 1629 Abs. 3 BGB durch die Mutter beinhaltet den gleichen Lebenssachverhalt wie die spätere Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des volljährigen Kindes durch denselben Anwalt.
2. Für das Tatbestandsmerkmal der Interessenkollision der Vorschrift des § 43a BRAO reicht die eingetretene Gefahr aus, dass widerstreitende rechtliche Interessen in der Nutzbarmachung von ehemals hingegebenen Informationen hervorgetreten sind.
3. Bei der Berechnung des Unterhaltes des volljährigen Kindes handelt es sich im Fall der Leistungsunfähigkeit eines Elternteils um den besonderen Fall, bei dem sich ein typisierter Interessenkonflikt nicht auswirkt.
4. Ein Anwalt darf darauf vertrauen, dass ungerechtfertigte Angriffe des Prozessgegners im Sinne eines sich auswirkenden Eingriffs in das von ihm gepflegte Mandatsverhältnis durch die zuständige Berufsvertretung ausreichend aufgeklärt und gegebenenfalls auch abgewehrt werden.
Rz. 156
Praxistipp:
Ein etwaiger Verstoß eines Bevollmächtigten gegen § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA lässt die Wirksamkeit seiner Rechtshandlungen (vgl. §§ 114 Abs. 1 FamFG, 78 ZPO) unberührt. Die Erteilung der Prozessvollmacht ist als abstrakte Prozesshandlung im weiteren Sinne grundsätzlich nicht abhängig vom Bestand eines (wirksamen) Grundverhältnisses. Daher berührt ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO) oder selbst die Versagung der Berufstätigkeit (§ 45 BRAO) weder die Wirksamkeit der Prozessvollmacht noch – entsprechend §§ 114a Abs. 2, 155 Abs. 5 BRAO – der vom Bevollmächtigten namens der Partei vorgenommenen Prozess- oder Verfahrenshandlungen.
Der Interessenkonflikt kann auch Auswirkungen auf den Honoraranspruch des Anwaltes haben und diesen u.U. entfallen lassen.