1. Grundsätzlich keine Erwerbsobliegenheit

 

Rz. 69

Grundsätzlich besteht keine Erwerbsobliegenheit, solange die Ausbildung ordnungsgemäß absolviert wird. Dann kann auch kein fiktives Einkommen angerechnet werden, weil dies die Verletzung einer Erwerbsobliegenheit voraussetzt.

Wenn jedoch der Jugendliche seine Ausbildung aus eigenem Antrieb endgültig abgebrochen hat, wird das volljährige Kind auch in vollem Umfang erwerbspflichtig mit der Folge der Anrechnung hypothetischer Einkünfte.[89]

[89] OLG Köln v. 4.8.2005 – 26 WF 135/05, FuR 2005, 570; vgl. auch OLG Brandenburg v. 23.8.2004 – 9 WF 157/04, FamRZ 2005, 2094.

2. Erwerbsobliegenheit während Übergangszeiten

 

Rz. 70

Oftmals schließen die einzelnen Schul- und Ausbildungsabschnitte nicht nahtlos aneinander an, sondern es treten zeitliche Lücken auf. Die Rechtsprechung zu der Frage, wie diese Lücken unterhaltsrechtlich zu behandeln sind, ist noch uneinheitlich:

OLG Düsseldorf: Während der Wartezeit bis zur Aufnahme in eine weiterführende Schule muss ein volljähriges Kind seinen durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit notwendigen Lebensbedarf decken, und zwar auch dann, wenn sein Aufnahmeantrag abgelehnt worden ist und die Ablehnung angefochten werden soll. Die Erwerbsobliegenheit beginnt mit Erhalt des Ablehnungsbescheides; gleichzeitig endet der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt.[90]
OLG Zweibrücken: Zwischen einzelnen Ausbildungsabschnitten ist das volljährige Kind gehalten, seinen Unterhalt selbst sicherzustellen (Ende Zivildienst, Beginn Studium, Ende Pflichtpraktikum, Beginn Ausbildung).[91]
OLG Köln: Auch bei Teilnahme des volljährigen Kindes an einem Volkshochschulkurs zur Erlangung des Abschlusses des 10. Hauptschuljahres verbleibt diesem genügend Zeit, um seinen Lebensunterhalt durch eine Geringverdienertätigkeit selbst sicherzustellen.[92]
OLG Hamm: In der Zeit zwischen Abitur und Studienbeginn besteht keine Erwerbsobliegenheit des Kindes.[93]
[90] OLG Düsseldorf v. 3.5.2005 – 5 UF 85/05, FamRZ 2006, 59; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 3.3.1999 – 3 WF 187/98, FamRZ 2000, 442.
[91] OLG Zweibrücken v. 12.5.2006 – 2 WF 87/06, OLGR Zweibrücken 2006, 916–918.
[92] OLG Köln v. 16.8.2005 – 26 WF 151/05, FamRZ 2006, 504.

3. Fiktive Einkünfte aus anderen Gründen

 

Rz. 71

In der Praxis spielt auch das fiktive Einkommen aus BAföG-Leistungen eine Rolle. Kinder, die eine Ausbildung absolvieren, müssen demnach staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen, um die unterhaltspflichtigen Eltern zu entlasten. Dem volljährigen studierenden Kind ist die Inanspruchnahme von BAföG zumutbar. Das unterhaltsberechtigte Kind ist gehalten, entsprechende Anträge zu stellen (zu denen die Eltern schon aus Eigeninteresse die erforderlichen Informationen und Unterlagen liefern müssen). Unterlässt das Kind bewusst, einen solchen Antrag zu stellen, wird ein fiktives Einkommen in Höhe der BAföG-Leistungen bedarfsdeckend angerechnet[94] (siehe Rdn 57).

 

Rz. 72

Ein erwerbsunfähiges Kind ist verpflichtet, einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen. Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit führt zur Anrechnung fiktiver, bedarfsdeckender Einkünfte aus der Grundsicherung.[95]

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