Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 25
Auch der Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung ist von Bedeutung. Grundsätzlich muss das Kind seine Ausbildung in angemessener Zeit aufnehmen. Zwar ist einem jungen Menschen eine gewisse Orientierungsphase zuzugestehen, deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet. Relevant ist aber auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen. so dass sich das Gebot der Rücksichtnahme auf deren wirtschaftliche Belange auch auf den zumutbaren Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung auswirken kann.
Rz. 26
Mit der Wahl der Ausbildung darf der Jugendliche sich in jedem Fall nicht zu lange Zeit lassen, denn er muss sich zügig entscheiden, welche Ausbildung er wählt, eine längere Orientierungsphase wird nicht zugestanden.
Rz. 27
Es gibt keine feste Altersgrenze für die Aufnahme einer Ausbildung, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt. Die Frage, bis wann es dem Unterhaltsberechtigten obliegt, seine Ausbildung aufzunehmen, richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Allerdings haben sowohl der zeitliche Abstand zum Schulabschluss als auch die erreichte Eigenständigkeit der Lebensstellung des Kindes Bedeutung. Verstärkt tritt an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg. Eine lange Verzögerung kann selbst bei noch fehlender Berufsausbildung zum Wegfall des Ausbildungsanspruchs führen. Das volljährige Kind muss dann seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Begabung und Fertigkeiten verdienen.
Rz. 28
§ 1610 Abs. 2 BGB mutet den Eltern nicht zu, sich gegebenenfalls nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Nachholung der Hochschulreife und der Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, einen Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen. Eine verspätete Aufnahme einer – an sich angemessenen Ausbildung – durch das Kind kann daher einem Unterhaltsanspruch entgegenstehen.
Rz. 29
BGH v. 3.5.2017 – XII ZB 415/16
Zitat
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cc) Allerdings gibt es keine feste Altersgrenze für die Aufnahme und die Beendigung einer Ausbildung, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt. Die Frage, bis wann es dem Unterhaltsberechtigten obliegt, seine Ausbildung aufzunehmen und abzuschließen, richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich hierfür ist, ob den Eltern unter Berücksichtigung aller Umstände die Leistung von Ausbildungsunterhalt in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit noch zumutbar ist.
Dabei wird die Zumutbarkeit nicht nur durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern bestimmt, sondern auch durch die Frage, ob und inwieweit sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind weitere Ausbildungsstufen anstrebt. Denn die Elternverantwortung tritt dem Grundsatz nach immer mehr zurück, je älter ein Kind bei Aufnahme einer (weiteren) Ausbildung ist und je eigenständiger es seine Lebensverhältnisse gestaltet. Hiervon geht ersichtlich auch der Gesetzgeber aus, wie etwa die Regelung in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG belegt, wonach im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes Einkommen der Eltern außer Betracht bleibt, wenn das Kind bei Beginn des Ausbildungsabschnitts nach Abschluss einer vorhergehenden, zumindest dreijährigen berufsqualifizierenden Ausbildung drei Jahre oder im Falle einer kürzeren Ausbildung entsprechend länger erwerbstätig war.
Rz. 30
Hat das Kind einen guten Schulabschluss vorzuweisen, wird man eher verlangen können, nach Ablauf einer gewissen Orientierungszeit zeitnah eine Ausbildung aufzunehmen. Ist der Schulabschluss schlechter, so sind auch die Chancen auf einen Ausbildungsplatz geringer. Dann ist es dem Kind aber nicht vorzuwerfen, wenn es durch Praktika und andere Berufsvorbereitungsmaßnahmen seine Chancen steigert – die zeitliche Verzögerung ist hinzunehmen.
Rz. 31
Zu beachten sind dabei auch die jedem Kind auferlegten Pflichten, auf die Belange der auf Unterhalt in Anspruch genommenen Eltern Rücksicht zu nehmen. Dies folgt aus der allgemeinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheit, sich so zu verhalten, dass der unterhaltsrechtliche Gegner nicht unnötig und vermeidbar belastet wird.
Rz. 32
So lässt sich aus Sicht des unterhaltsberechtigten Kindes durchaus argumentieren, die Ausbildung und damit die Belastung der Eltern werde nicht größer aufgrund der zeitlichen Verschiebung. Bei einem verspäteten Ausbildungsbeginn ist relevant, ob hierdurch Mehrkosten für den Unterhaltspflichtigen ausgelöst werden oder ob die Verzögerung letztlich "kostenneutral" geblieben ist. Eine Verzögerung der Ausbildung führt nicht zwingend zu höheren Kosten – es sei denn, in der Zwischenzeit sind Studiengebühren eingeführt worden oder bestimmte Kosten haben sich erhöht (was konkret darzulegen wäre). Möglicherweise wird di...