Dr. Wolfgang Kürschner, Prof. Dr. Günther Schneider
A. Grundlagen
Rz. 1
Führt das schädigende Ereignis nicht nur zu Nachteilen, sondern auch zu Vorteilen für den Geschädigten, so ist deren Anrechnung auf den Schadensersatzanspruch zu prüfen. Das BGB enthält zu den Voraussetzungen, Folgen einer Vorteilsausgleichung keine grundsätzliche Regelung, sondern überlässt eine solche Rechtsprechung und Lehre. Lediglich Einzelregelungen wie § 642 Abs. 2 BGB sehen eine Vorteilsausgleichung vor, andere wie z.B. § 843 Abs. 4 BGB schließen sie ausdrücklich aus. Vorteilsausgleichung (compensatio lucri cum damno) ist eine Konsequenz aus der Differenztheorie: Da das Vermögen im Ganzen in dem Zustand, in dem es sich ohne das Schadensereignis hypothetisch befinden würde, mit dem Zustand verglichen werden muss, in dem sich das Vermögen nach dem Schadensereignis tatsächlich befindet, ergibt sich, insbesondere unter Berücksichtigung des Bereicherungsverbotes, dass dabei nicht nur vermögensmindernde Veränderungen, sondern auch Vermögensverbesserungen Berücksichtigung finden müssen. Es gibt Vorteile, die von vornherein bloße Berechnungsfaktoren des Schadens bilden, und andere, die erst infolge des Schadens eingetreten sind und hinsichtlich derer aufgrund einer rechtlichen Wertung zu entscheiden ist, ob sie auf den entstandenen und zunächst berechneten Schaden angerechnet werden sollen. Die Übergänge sind fließend. Vorteilsausgleichung setzt voraus, dass der Verletzte unmittelbar nach dem Schadensereignis Vermögensvorteile erhält; diese Vorteile entstehen regelmäßig aus der gleichen Quelle wie das Schadensereignis selbst. Volle Identität des schädigenden und des den Vorteil herbeiführenden Ereignisses ist nicht erforderlich.
Rz. 2
Der Anwendungsbereich der Grundsätze über die Vorteilsausgleichung erstreckt sich unmittelbar auf Schadensersatzansprüche jeglicher Art, beispielsweise auch auf einen aus § 845 BGB, ferner auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch. Der Rechtsgedanke, dass ein Geschädigter für erlittene Nachteile zu entschädigen ist, aber aus einem schädigenden Ereignis keinen Gewinn erzielen soll, wurde in der Rechtsprechung aber auch beim Rückforderungsanspruch im Rahmen einer umfassenden Rückabwicklung eines widerrufenen Darlehensvertrags (heute § 358 BGB, früher § 3 HWiG, § 9 VerbrKrG) entsprechend angewendet. Eine entsprechende Anwendung wird auch auf Nacherfüllungsansprüche sowie auf Ansprüche aus Auftrag oder Geschäftsführung ohne Auftrag bejaht, soweit ein Schaden als Aufwendung gewertet wird.
Rz. 3
Keine Anwendung finden die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auf Erfüllungsansprüche und Ansprüche aus dem AnfG. Auch bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) kommt eine Anwendung nicht in Betracht, da es nur einen einheitlichen Anspruch auf Herausgabe des Überschusses nach Saldierung der Aktiv- und Passivposten gibt, der dem Teil zusteht, zu dessen Gunsten sich ein Saldo errechnet.
B. Voraussetzungen
Rz. 4
Voraussetzung für die schadensmindernde Anrechnung eines schädigungsbedingten Vorteils ist nach gefestigter Rechtsprechung ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und eingetretenem Vorteil. Die im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätze der Vorteilsausgleichung beruhen auf dem Gedanken, dass dem Geschädigten – jedenfalls in gewissem Umfang – diejenigen Vorteile zuzurechnen sind, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Angesichts der dem Gesetz zugrunde liegenden Differenzhypothese ist jeweils klärungsbedürftig, ob die dem Geschädigten zufließenden Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen sind, sie also den Schädiger entlasten. Es soll damit ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Zu der Adäquanz des Vorteils muss hinzutreten, dass die Anrechnung dem Zweck der Ersatzpflicht entspricht. Insbesondere ist eine unbillige Entlastung des Schädigers zu vermeiden. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein.
Rz. 5
Vorteile dürfen nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil zu ihrer Entstehung eine weitere Ursache mitgewirkt hat. Vielmehr ist ausreichend, dass Schaden und Vorteil aus mehreren selbstständigen Quellen fließen, soweit nur das schädigende Ereignis allgemein geeignet war, derartige Vorteile mit sich zu bringen. Als weitere Voraussetzung ist in jedem Einzelfall zu prüfen und rechtlich wertend zu entscheiden, ob eine Anrechnung dem Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht, den Geschädigten nicht unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig begünstigt. Gefordert wird...