A. Zeugnispflicht
Rz. 1
Tipp: Selbstladungsrecht der Verteidigung (§§ 220, 38 StPO, § 46 OWiG)
Auch der Verteidiger hat das Recht, selbst Zeugen oder Sachverständige zum Termin zu laden. Daran wird der Verteidiger vor allem dann denken müssen, wenn mit einer Ablehnung des im Termin gestellten Beweisantrages nach § 244 Abs. 3 StPO zu rechnen ist. Der Verteidiger bewirkt dann die Ladung über den Gerichtsvollzieher, wobei dem Geladenen die voraussichtlich entstehenden Kosten angeboten werden müssen (§ 38 StPO). Die ordnungsgemäße Ladung des Zeugen oder des Sachverständigen weist der Verteidiger im Termin durch Vorlage der Urkunde des Gerichtsvollziehers nach. Es handelt sich dabei um einen präsenten Zeugen bzw. Sachverständigen i.S.d. § 245 StPO, § 46 OWiG, so dass der dann im Strafverfahren noch zu stellende Beweisantrag nicht mehr gem. § 244 Abs. 3 StPO abgelehnt werden kann. Zu beachten ist allerdings, dass diese Grundsätze im Bußgeldverfahren wegen des dort dem Richter in § 77 Abs. 2 OWiG eingeräumten besonderen Ermessens nicht gilt.
I. Staatsanwaltschaft und Bußgeldbehörde
Rz. 2
Der Zeuge muss nicht nur einer Ladung des Gerichts, sondern auch der der Staatsanwaltschaft oder der ermittelnden Verwaltungsbehörde Folge leisten (§ 161a StPO, § 46 OWiG), aussagen sowie eine eventuelle Gegenüberstellung (§ 58 StPO) dulden. Der Bußgeldstelle selbst stehen aber Zwangsmittel gegen den Zeugen nicht zu (§ 46 Abs. 5 OWiG).
Auch der Zeuge hat Anspruch auf Beistand eines Verteidigers (§ 161a Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 68b Abs. 1 StPO).
Rz. 3
Private und berufliche Pflichten haben gegenüber der staatsbürgerlichen Pflicht, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen, grundsätzlich zurückzutreten. Je nach Bedeutung der Sache - namentlich wird dies für umfangreichere Strafverfahren zu gelten haben - muss der Zeuge eine Geschäfts- oder Urlaubsreise verlegen oder vorzeitig abbrechen (Thüringer OLG StraFo 1997, 331).
II. Polizei
Rz. 4
Vor der Polizei braucht er - soweit diese nicht selbst Bußgeldbehörde ist - weder auszusagen noch überhaupt nur zu erscheinen. Zur Rücksendung eines ihm überlassenen Zeugenfragebogens ist er nicht verpflichtet.
III. Tipp: Beistand eines Anwaltes
Rz. 5
Der Zeuge hat in jedem Stadium des Verfahrens ein Recht auf anwaltschaftlichen Beistand (BVerfGE 38, 105).
Der anwaltschaftliche Zeugenbeistand erhält dann übrigens die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger, also in der Regel auch die Grund- und die Verfahrensgebühr (OLG Koblenz AGS 2006, 598).
B. Zeugnisverweigerungsrecht
I. Keine nachteiligen Schlüsse
Rz. 6
II. Bedeutung für Verkehrssachen
Rz. 7
Im Verkehrsprozess spielt das Recht, das Zeugnis verweigern zu können, eine wichtige und oft vorentscheidende Rolle: Vielfach sind die einzigen Zeugen eines Vorfalles Angehörige des Beschuldigten. Nicht selten kommt es vor, dass der Beschuldigte nur durch Aussagen seiner Angehörigen in Tatverdacht geraten ist bzw. überführt werden kann, so z.B. wenn sie ihn den nach einer Unfallflucht ermittelnden Beamten als Fahrer angegeben haben. In diesen Fällen ist eine Verurteilung zumeist alleine schon mit dem geschickten Einsatz des Aussageverweigerungsrechts zu verhindern.
Rz. 8
Achtung: Nur im Falle eines Gerichtsbeschlusses
Eine Verletzung des Aussageverweigerungsrechts kann der Verteidiger in der Revisionsinstanz nur rügen, wenn er zuvor einen Gerichtsbeschluss gem. § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt hat (BGH, Urt. v. 9.3.2010 - 4 StR 606/09).
III. Zur Verweigerung berechtigt
1. Angehörige
Rz. 9
Die in § 52 StPO genannten Angehörigen des Angeklagten (Betroffenen) haben das Recht, das Zeugnis zu verweigern. Soweit Angehörige die Aussage verweigern wollen, gibt es im Allgemeinen keine Probleme. Schwierigkeiten können dann entstehen, wenn der Richter Zeugen mit einer unkorrekten Belehrung in Bedrängnis bringt, sie z.B. mit folgendem Wortlaut belehrt: "Wenn Sie oder einer Ihrer Angehörigen sich strafbar gemacht haben...". Dann muss der Verteidiger sofort einschreiten und auf einer gesetzkonformen Belehrung bestehen."
2. Verlobte
Rz. 10
Problematisch kann das Zeugnisverweigerungsrecht eines mit dem Beschuldigten Verlobten (dessen Abschaffung geplant ist) sein. Da Verlöbnisse gelegentlich als taktisches Verteidigungsmittel eingesetzt werden, entstehen immer dann Zweifel, wenn ein Verlöbnis erst nach der Tat - es kommt nur auf den Zeitpunkt der Aussage an (BGH NJW 1969, 1623) - stattgefunden haben soll. Von einem Verlöbnis kann indessen nur bei einem gegenseitigen und ernstlich gemeinten Eheversprechen die Rede sein (BGH NStZ 1986, 84).
Rz. 11
Ist die Ernsthaftigkeit des Versprechens nicht infrage gestellt, muss das Verlöbnis beachtet werden, wenn es im Zeitpunkt der Aussage besteht (BGH NJW 1969, 1633). Darauf, ob es bereits zum Zeitpunkt der Tat bestanden hat, kommt es nicht an. Hat das Gericht Zweifel am Bestehen eines Verlöbnisses, kann es die Glaubhaftmachung nach § 56 StPO verlangen (BGH NStZ 1985, 205).
Rz. 12
Nicht immer kann mit einem Verlöbnis die Verpflichtung, aussagen zu müssen, umgangen werden. Ein Ver...