Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 188
§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB statuiert zwei Schranken der Inhaltskontrolle. Nach dieser Vorschrift gelten die §§ 307 Abs. 1 und 2, 308, 309 BGB nur für solche Vertragsbestimmungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Der Begriff der Rechtsvorschriften wird weit ausgelegt. Das BAG unterstellt ihm auch ungeschriebene, allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze. Die Vorschrift bewirkt zweierlei. Sie nimmt zum einen rein deklaratorische Klauseln, die den Wortlaut einer Rechtsvorschrift lediglich wiederholen, von der Inhaltskontrolle aus. Eine mittelbare Kontrolle von gesetzlichen Regelungen durch den Richter wird damit verhindert. Auch würde im Falle der Unwirksamkeit der Klausel gem. § 306 Abs. 2 BGB ohnehin das Gesetzesrecht an ihre Stelle treten. Zum anderen sind sog. Leistungsbeschreibungen und Preisabreden einer Inhaltskontrolle entzogen und es findet nur eine Transparenzkontrolle statt. Dies sind Klauseln, die den Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistungspflichten unmittelbar festlegen, d.h. bestimmen, was und wie viel der eine Teil leisten soll und welchen Preis er dafür erhält. Im Arbeitsrecht bleiben somit vor allem Klauseln, die Art und Umfang der Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt betreffen, kontrollfrei. Denn es ist nicht die Aufgabe des Richters, den "gerechten Preis" zu bestimmen.
Rz. 189
In der Praxis bereitet es vielfach Schwierigkeiten, die Grenzen zwischen noch und nicht mehr kontrollfähigen Abreden zu bestimmen. Mit vielen Unwägbarkeiten ist etwa die insbesondere vom BGH praktizierte Abgrenzung zu den sog. Preisnebenabreden behaftet. Diese sind im Gegensatz zu reinen Preisabreden kontrollfähig. Sie sollen solche Abreden erfassen, die zwar mittelbar Auswirkungen auf die Preisgestaltung haben, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Recht treten kann. Ein auch im Arbeitsrecht relevanter Anwendungsfall dieser Judikatur betrifft Verzugszinsklauseln, die danach kontrollfähig bleiben. Entsprechendes wird für Fälligkeitsklauseln gelten. Ob eine Klausel, die eine Pauschalvergütung von Überstunden mit einer Abrede über die Befugnis des Arbeitgebers zur Anordnung von Überstunden kombiniert, eine kontrollfähige Preisnebenabrede ist, hat das BAG bislang offen gelassen. Eine Regelung, wonach in der vereinbarten Monatsvergütung die ersten zwanzig Überstunden monatlich "mit drin" seien, betreffe jedoch nur die (Mit-)Vergütung dieser Überstunden und sei damit als Hauptleistungsabrede kontrollfrei.
Rz. 190
Das BAG grenzt zudem – leider wenig trennscharf – von den Leistungsbeschreibungen solche Klauseln ab, die das Hauptleistungsversprechen nicht festlegen, sondern einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren. Auch sie seien inhaltlich zu kontrollieren. Deshalb handele es sich auch bei einer befristeten Arbeitszeiterhöhung um eine kontrollfähige Abrede. Gegenstand der Inhaltskontrolle sei dort nicht die vereinbarte Erhöhung der Arbeitszeit und damit der Umfang der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistung als Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis, sondern deren zeitliche Einschränkung durch die Befristung. Klauseln, die die Dauer der Probezeit festlegen, gehen über eine deklaratorische Wiedergabe von Rechtsvorschriften hinaus und sind daher einer Inhaltskontrolle nach den § 307 ff. BGB zugänglich. Ferner misst das BAG Widerrufsvorbehalte am Maßstab der §§ 305 ff. BGB. Gleiches gilt für eine Klausel, nach der dem Arbeitnehmer als Überhangprovision nur die Hälfte der vereinbarten Provision zusteht bzw. für Regelungen über die Höhe von Versorgungsleistungen bei vorzeitigem Ausscheiden.
Rz. 191
In § 310 Abs. 4 S. 3 BGB werden Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen Rechtsvorschriften i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB gleichgestellt. Hinter dieser Gleichstellungsanordnung verbergen sich zwei praxisrelevante Problemkreise. Zum einen wirft sie die Frage danach auf, ob die genannten Kollektivvereinbarungen bei einzelvertraglicher Bezugnahme mittelbarer Gegenstand der AGB-Kontrolle sein können (vgl. dazu Rdn 178 ff.). Diskutiert wird zum anderen, ob als Folge dieser Bestimmung Tarifverträge als Vergleichsmaßstab für die Inhaltskontrolle herangezogen werden können. Dies ist im Anschluss an die h.L. abzulehnen. Eine Unterschreitung der tarifüblichen Vergütung kann deshalb keine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 BGB darstellen. Das BAG hat es abgelehnt, einen gem. § 4 Abs. 5 TVG nachwirkenden Tarifvertrag als Kontrollmaßstab für eine Inhaltskontrolle heranzuziehen.