Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 247
Wird dem Arbeitnehmer bereits im Arbeitsvertrag pauschal die spätere Abwerbung ehemaliger Kollegen verboten oder gar konkret bezogen auf eine spätere eigene Selbstständigkeit des Arbeitnehmers, ist dies ein Anwendungsfall des § 75f HGB. Denn der bisherige Arbeitnehmer wird als selbstständiger Prinzipal tätig und verpflichtet sich in der Klausel, Arbeitnehmer des bisherigen Arbeitgebers nicht abzuwerben, sich also insoweit im Wettbewerb einzuschränken. Eine solche Klausel ist daher als nachvertragliches Wettbewerbsverbot auszulegen. Sie ist ohne Vereinbarung einer Karenzentschädigung nach § 75f HGB unverbindlich und kann durch jede der beiden Parteien jederzeit und ohne Angabe von Gründen beendet werden. Es besteht weder ein Erfüllungszwang, noch kann der Rücktritt Schadensersatzansprüche auslösen. Da der gesetzliche Rücktritt formlos, also auch durch konkludentes Handeln möglich ist, entfaltet eine entsprechende Klausel keinerlei Bindung. Wirbt der bisherige Arbeitnehmer entgegen der Klausel ehemalige Kollegen ab, liegt spätestens in der Abwerbung die konkludente Ausübung des Rücktritts nach § 75f HGB vor. Darüber hinaus kann eine entsprechende Klausel auch nach § 138 BGB nichtig sein, wenn die Sperrabrede nicht auf einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers im Sinne § 74a Abs. 1 HGB beruht.
Rz. 248
Eine Klausel, die dem Arbeitnehmer das Abwerben von Kunden des früheren Arbeitgebers untersagt, stellt in aller Regel eine Wettbewerbsabrede i.S.d. § 74 HGB dar und löst somit die Karenzentschädigungspflicht aus. Die weitergehende Frage, ob eine Kundenschutzklausel nur zu einer wirtschaftlich nicht relevanten Beschränkung der beruflichen Betätigungsfreiheit des Mitarbeiters führt und demgemäß entschädigungslos vereinbart werden kann, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Erforderlichenfalls ist durch eine Prognose zu ermitteln, ob der Mitarbeiter in wirtschaftlich nennenswertem Umfang in seiner beruflichen Tätigkeit eingeschränkt werden wird.
Rz. 249
Ein entsprechendes vertragliches Abwerbeverbot für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses ist also entschädigungslos nur insoweit zulässig, als hiermit der ohnehin nach §§ 3, 4 Nr. 10 UWG verbotene Bereich des wettbewerbswidrigen Eingriffs in den Arbeitnehmerbestand des bisherigen Arbeitgebers erfasst und konkretisiert wird. Dies ist z.B. der Fall für das Verbot der "putschartigen Übernahme", bei der keine ernsthafte Möglichkeit bleibt, gegenzusteuern. Da ein solcher Eingriff aber bereits gesetzlich verboten ist, bedarf es keiner vertraglichen Regelung hierzu. Allenfalls kann im Rahmen eines Aufhebungsvertrages auf das Bestehen des gesetzlichen Verbotes unter Konkretisierung der Fallgestaltungen und unter Vereinbarung einer Vertragsstrafe zur Vermeidung der ansonsten immanent gegebenen Schwierigkeiten bei der Darlegung des Schadens hingewiesen werden.