Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1188
Neben der sozialversicherungsrechtlichen Abwicklung des Anstellungsverhältnisses benötigt der Arbeitgeber noch für andere Zwecke Daten des Arbeitnehmers. Dies gilt insbesondere für eventuelle Anhörungen des Betriebsrats, z.B. nach § 102 BetrVG, sowie für die Durchführung der Sozialauswahl im Vorfeld von Kündigungen.
Rz. 1189
Gemäß § 102 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat zur Bezeichnung der Person des betroffenen Arbeitnehmers die grundlegenden sozialen Daten mitzuteilen, sofern dies für die Kündigung relevant ist. Hierzu gehören die grundlegenden Daten des Arbeitnehmers, wie Alter, Familienstand, Kinderzahl, Beschäftigungsdauer, sowie Umstände, die einen besonderen Kündigungsschutz begründen. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist schon dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt und die ihm bekannten Daten bekannt gegeben hat. Deshalb ist der Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratsanhörung nicht verpflichtet, die Richtigkeit bereits dokumentierter Daten zu überprüfen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, mangels anderweitiger Kenntnisse von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte auszugehen, hat dies dann aber gegenüber dem Betriebsrat zu kennzeichnen.
Rz. 1190
Verändern sich die Sozialdaten auf Seiten des Arbeitnehmers, ist es grundsätzlich die Obliegenheit des Arbeitnehmers, für die Unterrichtung des Arbeitgebers Sorge zu tragen. Sowohl im Rahmen der Rechtsprechung zur Durchführung der Betriebsratsanhörung, wie auch im Rahmen der Rechtsprechung zur Sozialauswahl wird aber deutlich, dass sich der Arbeitgeber nur "im Normalfall" auf die ihm bekannten sozialen Daten berufen bzw. sich nur "grundsätzlich" hierauf verlassen darf. Lässt sich nachweisen, dass dem Arbeitgeber anderweitige Daten bekannt sind, er an den bekannten Daten erhebliche Zweifel haben musste oder irgendeinen Anlass zu der Annahme haben kann, dass die Daten nicht zutreffen könnten, darf der Arbeitgeber sich nicht auf diese Daten verlassen. Für einzelne Sozialdaten, die im Rahmen der Kündigung zu berücksichtigen sind, z.B. im Rahmen der Unterhaltspflichten die Frage des Doppelverdienstes, sind die ohnehin beim Arbeitgeber vorhandenen Daten, z.B. die Lohnsteuerkarte, überhaupt nicht aussagekräftig. Da es im Kündigungsschutzverfahren auf die wahren sozialen Daten ankommt und nicht auf die dokumentierten, läuft der Arbeitgeber stets ein erhebliches Risiko, wenn er lediglich auf die dokumentierten Daten vertraut. Neben dem stets immanenten Risiko, dass irgendwelche Anhaltspunkte aufgedeckt werden, aufgrund derer der Arbeitgeber nicht hätte vertrauen dürfen, stellt sich dann auch die Frage der Aussagekraft der vorhandenen Datenträger. Letztlich bieten selbst die gespeicherten und verwendeten lohnsteuerlichen Merkmale nur einen "wichtigen Anhaltspunkt".
Rz. 1191
Während die höchstrichterliche Rechtsprechung den Vertrauensgrundsatz zur Befriedigung der "Bedürfnisse der Praxis" in den Vordergrund stellt und am Grundsatz festhält, dass der Arbeitgeber auf die bei ihm bekannten Daten vertrauen darf, wird gerade vor den Obergerichten häufig die Frage des grundsätzlichen "Vertrauen-Dürfens" diskutiert und in Frage gestellt. Entgegen der Rechtsprechung des BAG wird teilweise vertreten, den Arbeitgeber treffe eine generelle anlassgebundene Erkundigungspflicht hinsichtlich zumindest ergänzender Daten wie den Unterhaltspflichten. Diese Ansicht ist abzulehnen. Die Sozialdaten sind im alleinigen Einflussbereich des Arbeitnehmers liegende Kenntnisse. Für deren Mitteilung ist nach richtiger Ansicht der Arbeitnehmer verantwortlich. Alleine der Umstand, dass es in objektiv-rechtlicher Hinsicht auf die tatsächlich bestehenden Daten ankommt, kann nicht dazu führen, dass die rein prozedurale Frage zulasten des Arbeitgebers aufgelöst wird. Zudem steht die Ansicht, die eine generelle Erkundigungspflicht des Arbeitgebers vertritt, im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass lediglich im Falle einer Verdachtskündigung der Arbeitnehmer zur Sachverhaltsaufklärung angehört werden muss.
Rz. 1192
Festzuhalten ist daher, dass sich der Arbeitgeber grundsätzlich auf die mitgeteilten Daten verlassen kann. Da der Umstand der Mitteilungsobliegenheit aber nicht jedem Arbeitnehmer bekannt sein muss und überdies nicht abzusehen ist, ob sich in der Rechtsprechung nicht doch die Ansicht durchsetzt, dass eine Erkundigungspflicht besteht, empfiehlt sich gleichwohl die Aufnahme einer entsprechenden Mitteilungsklausel in den Arbeitsvertrag. Eine solche Mitteilungsklausel weicht nicht von gesetzlichen Bestimmungen ab und benachteiligt den Arbeitnehmer daher nicht unbillig im Sinne von § 307 Abs. 2 BGB. Wie gezeigt weist sie den Arbeitnehmer lediglich auf eine bestehende Obliegenheit hin und erweitert dessen rechtlichen Handlungsspi...