Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1402
Wenn es auch grds. zulässig ist, den Anspruch auf eine Sonderzahlung ohne Entgeltcharakter daran zu knüpfen, dass das Arbeitsverhältnis am Auszahlungstag oder auch zu einem späteren Zeitpunkt noch besteht, ist doch diese Bindung auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers Einfluss zu nehmen bestimmt und geeignet. Die Bindungsdauer darf deshalb nicht unangemessen lang sein. Für die zulässige Bindungsdauer ist nach bisheriger Rechtsprechung die Höhe der Sonderzahlung maßgeblich. Im Grundsatz gilt: Je höher die Sonderzahlung, desto länger ist die zulässige Bindungsdauer.
Rz. 1403
Bei der Bemessung der zulässigen Bindungsdauer wurde bislang zwischen Stichtags- und Rückzahlungsklauseln differenziert. Bei Rückzahlungsklauseln gilt folgende Abstufung: Eine geringe Sonderzahlung bis zu einem Betrag von 100 EUR rechtfertigt keinerlei Bindung. Eine am Jahresende gezahlte Zuwendung, die zwar 100 EUR übersteigt, einen Monatsbezug des Arbeitnehmers jedoch nicht erreicht, kann den Arbeitnehmer bis maximal zum 31. März des Folgejahres zulässigerweise durch eine Rückzahlungsklausel binden; dabei ist unschädlich, wenn die Auszahlung bereits im November erfolgt. Die Rückzahlungsverpflichtung entsteht in diesem Fall nur dann, wenn der Arbeitnehmer vor dem 31. März ausscheidet, nicht aber, wenn die Kündigung oder der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum Ablauf des 31. März des Folgejahres beendet. Erreicht die Sonderzahlung den Betrag eines Monatsgehalts, ist eine Bindung des Arbeitnehmers auch über den 31. März des Folgejahres hinaus bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin zulässig. Beträgt die Sonderzahlung mehr als ein Monatsgehalt, aber weniger als zwei Monatsgehälter, kann eine Bindung bis spätestens zum 30. Juni des Folgejahres vereinbart werden, wenn der Arbeitnehmer bis zu diesem Zeitpunkt mehrere Möglichkeiten zur Kündigung hatte. Eine noch weitergehende Bindung des Arbeitnehmers kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn die Sonderzahlung ein Monatsgehalt erheblich übersteigt und eine eindrucksvolle und beachtliche Zuwendung darstellt. Bei der Beurteilung der zulässigen Bindungsdauer kommt es grds. auf den Zeitpunkt der Auszahlung der Sonderzahlung an. Die vorstehenden Grundsätze gelten daher entsprechend auch für ein im Mai ausgezahltes Urlaubsgeld. Wird eine Sonderzahlung in mehreren Teilbeträgen geleistet, hängt die zulässige Bindungsdauer nicht von der Summe der Sonderzahlungen ab, sondern von der Höhe des jeweiligen Auszahlungsbetrages.
Rz. 1404
Etwas großzügiger konnte bislang die Bindungsdauer bei Stichtagsregelungen bemessen werden, da die damit verbundene Belastung des Arbeitnehmers geringer ist. Die Bindungswirkung einer Regelung, die das Entstehen eines Anspruchs von vornherein verhindert und damit nur die Erwartung einer zusätzlichen Leistung enttäuscht, ist auch dann, wenn eine Bindung des Arbeitnehmers über den Bezugszeitraum hinaus erreicht werden soll, geringer als bei einem Arbeitnehmer, der zur Rückzahlung einer möglicherweise bereits verbrauchten Leistung verpflichtet wird. So ist etwa eine im Ergebnis halbjährige Bindung bei einer Sonderzahlung in Höhe eines Monatsgehalts als zulässig angesehen worden.
Ob an diesem unterschiedlichen Maßstab für Stichtags- und Rückzahlungsklauseln auch unter der Geltung der §§ 305 ff. BGB festzuhalten ist, hat das BAG mittlerweile ausdrücklich offen gelassen. Problematisch ist zudem, dass sich die Angemessenheit des Verhältnisses zwischen der Höhe der Sonderzahlung und der Länge der Bindungsdauer in ihr Gegenteil verkehrt, wenn die Sonderzahlung einen wesentlichen Anteil an der Vergütung des Arbeitnehmers ausmacht und gerade dadurch zur Rechtfertigung einer langen Vertragsbindung herangezogen soll. Richtigerweise wird man deshalb davon ausgehen müssen, dass Sonderzahlungen, die mehr als 25 % der Gesamtvergütung darstellen, nicht wirksam mit einer Bindungsklausel verbunden werden können (vgl. Rdn 1400). Für geringere Sonderzahlungen sollten vorsorglich die für Rückzahlungsklauseln entwickelten Grenzen eingehalten werden.
Rz. 1405
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Angemessenheitskontrolle einer Bindungsklausel nur dann vorgenommen werden kann, wenn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Höhe der Sonderzahlung und damit die zulässige Bindungsdauer bekannt ist. Sonderzahlungen, deren Höhe ungewiss ist, können daher nur dann mit einer Bindungsklausel verbunden werden, wenn die Höhe der Sonderzahlung zumindest in Form eines Mindestbetrages oder eines Betragsrahmens vorgegeben ist.