Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 28
Ausgangspunkt des eigentlichen Ausschreibungsverfahrens ist die Erstellung eines Anforderungsprofils, in dem sinnvollerweise ausschließlich anforderungsrelevante Merkmale definiert werden. Hierbei dürfen die gem. § 7 AGG verpönten Merkmale nicht genannt werden, um schon in diesem Stadium eine mögliche Benachteiligung bestimmter Gruppen von Bewerbern zu unterbinden, es sei denn, eine Ungleichbehandlung wäre nach den Maßstäben des AGG zulässig. Der Arbeitgeber wird zunächst eine vorhandene Stellenbeschreibung AGG-konform überarbeiten oder – bei Neuschaffung einer Stelle – ein Profil neu so erstellen, dass es frei von unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierungen ist. Arbeitgeber, die ausschließlich anforderungsentsprechende Auswahlkriterien erheben, schützen sich damit auch juristisch. Alles, was nicht unmittelbar mit den Anforderungen der Position in Zusammenhang steht, sollte nicht erhoben werden. Das vermeidet von vornherein, dass der Arbeitgeber Kenntnis von verpönten Merkmalen erhält. Wer z.B. auf ein Bewerbungsfoto verzichtet, dem kann nicht unterstellt werden, er habe eine erkennbare Behinderung, religiöse Orientierung oder Hautfarbe bei der Einstellungsentscheidung gewertet.
Insbesondere im öffentlichen Dienst müssen zwingende Vorgaben eines Anforderungsprofils verbindlich und nachvollziehbar dokumentiert und für die Bewerber erkennbar festgelegt sein. Konkrete Festlegungen empfehlen sich aber auch für die private Wirtschaft zur Verbesserung der Argumentationsbasis im Falle einer behaupteten Diskriminierung.
Rz. 29
Nicht vom AGG verbotene Ungleichbehandlungen können allerdings aus anderen Gründen unzulässig sein, z.B. bei der Verletzung der persönlichen Handlungsfreiheit oder der Intimsphäre der betroffenen Bewerber.
a) Unmittelbare/Mittelbare Diskriminierung
Rz. 30
Unproblematisch erkennbar und daher leicht zu vermeiden ist eine direkte Anknüpfung an die Merkmale des AGG, während die Verwendung von Umschreibungen ("Berufseinsteiger", "Muttersprachler" etc.) besondere Aufmerksamkeit erfordert. Ein mittelbarer Bezug auf das Alter ergibt sich z.B. aus der Suche nach Studenten/Rentnern für Nebentätigkeiten oder aus dem Ausschluss von Bewerbern mit dem Verweis auf feste Altershöchstgrenzen. Das Kriterium der Muttersprache oder der Staatsangehörigkeit indiziert eher die Herkunft als die sprachlichen Fähigkeiten und sollte nach der Gesetzesbegründung daher vermieden werden, zumindest sofern eine substantiierte Begründung des Erfordernisses der Muttersprache nicht, und die Anforderung "hervorragender" oder „sehr guter Sprachkenntnisse ebenfalls möglich ist.
Rz. 31
Neutrale, aber mittelbar benachteiligende Kriterien sind nur zulässig, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (§ 3 Abs. 2 AGG). "Gute Schreibmaschinenkenntnisse" für eine Schreibkraft stellen daher nach der Rechtsprechung keine mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung dar. Körperliche Anforderungen für Polizisten oder Belastungstests für Piloten dürften ebenfalls unproblematisch sein.
Rz. 32
Die Problematik der mittelbaren Diskriminierung soll am Beispiel des Kriteriums des Alters erläutert werden. Stellenanzeigen dürfen nach dem AGG weder ausdrückliche Altersangaben noch "versteckte" Hinweise auf das gewünschte bzw. unerwünschte Alter enthalten. Ein dem Anschein nach neutrales Kriterium wie z.B. des "Berufsanfängers" führt etwa dann zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters, wenn es geeignet ist, einen älteren Bewerber wegen seines Alters gegenüber einem jüngeren Mitbewerber zu benachteiligen (§ 3 Abs. 2 AGG). Anders ist dies lediglich dann zu bewerten, wenn das Unternehmen in der Stellenausschreibung als "ein junges und dynamisches Unternehmen" beschrieben wird, da dies lediglich eine unternehmensbezogene Information darstellt, die sich nicht auf die Belegschaft oder die erwünschten Bewerber bezieht. Die in § 3 Abs. 2 AGG angelegte Gegenüberstellung verlangt, so die Gesetzesbegründung, die Bildung von Vergleichsgruppen, die die von dem benachteiligenden Merkmal berührten Personen einbeziehen müssen. Die besondere Betroffenheit einer solchen Vergleichsgruppe drückt sich darin aus, dass diese Personen zahlenmäßig stärker durch die Verwendung des an sich neutralen Kriteriums beeinträchtigt sind als Personen, die dieses Merkmal nicht aufweisen.
Rz. 33
In Bezug auf die Eigenschaft "Berufsanfänger" könnte man als Vergleichsgruppen für die Bewerbung in einer Rechtsanwaltskanzlei/Rechtsabteilung eine Gruppe der unter 35-jährigen und eine Gruppe der über 35-jährigen Bewerber bilden. Eine mittelbare Benachteiligung wäre zu bejahen, wenn Personen aus der älteren Gruppe im Bewerbungsverfahren – bei einer hypothetischen Betrachtungsweise – wesentlich seltener berücksichtigt würden als Bewerber aus der jüngeren ...